Full text: Die Juden und das Wirtschaftsleben

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Haben die Juden die Geheimnisse des Geldes selbst er- 
schlossen? Haben sie die Technik des Leihverkehrs aus sich heraus 
entwickelt oder haben sie sie von den Babyloniern gelernt? Daß 
hier in Babylon in vorjüdischer Zeit ein reger Geldverkehr be- 
standen hat, scheint jetzt fast erwiesen, obwohl wir über Seine 
Art und Gestalt wenig Zuverlässiges wissen. Das, was die bisher 
übersetzten Quellenstellen erkennen lassen, gibt gar keinen 
sicheren Anhalt, um festzustellen: wie hoch die Entwicklung 
des Geld- und Geldleihgeschäfts‘ gediehen war. Immerhin mögen 
die Keime der jüdischen Geldkunst hier bei ihren Vettern von 
Babylon liegen. Die Frage, ob dieser oder jener Stamm jener 
Völker, die ja doch alle aus gleicher Wurzel getrieben sind, die 
ersten goldenen Früchte getragen habe, ist im Grunde ziemlich 
nebensächlich. Bedeutsamer — und in seinen Wirkungen durch- 
aus klar — ist der. Umstand, daß das spätere Schicksal den 
Juden die Geldliebe aufnötigte und die Geldkunst anzüchten 
mußte. e 
Ihre Landflüchtigkeit zwang sie ja — seit‘ ihrem Auszug 
aus Ägypten —, ihrem Hab und Gut immer beweglichere Formen 
zu geben, und unter diesen bot sich das Geld — neben Schmuck- 
sachen — als die geeignetste dar. Es wurde ihr einziger ’Be- 
gleiter, wenn sie nackt auf die Straße geworfen wurden; und 
ihr einziger Beschützer, wenn man sie quälte und mißhandelte: 
sollten ‚sie es nicht lieben lernen, wenn sie mit seiner Hilfe die 
Großen dieser Erde sich unterwürfig machen konnten? Das Geld 
wurde ihnen — und durch sie der ganzen Menschheit — zum 
Mittel, Macht zu üben, ohne selbst stark zu sein: mit den feinen 
Fäden des Geldleihgeschäfts fesselte ein Volk von kleinen, in 
sozialem Sinne ganz unscheinbaren Menschen den feudal-bäuer- 
lichen Riesen: wie die Liliputaner den Gulliver banden. 
Mit diesen letzten Gedanken habe ich aber abermals an eın 
Schicksal der Juden erinnert, das von vielen als ganz besonders 
bedeutsam für die Ausbildung ihres Wesens angesehen wird und 
das sicher auch nicht ohne eigenartige Wirkung geblieben ist: ihr 
Ghettoschicksal. 
Daß dieses die gesellschaftliche Stellung der Juden ganz 
eigenartig beeinflußt hat, daß es aus ihnen eine verachtete 
Pariakaste gemacht hat, ist einleuchtend. Der größte Teil der 
Ghettojuden gehörte den sozial niederen Schichten an und wurde
	        
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