Full text: Girondisten und Jakobiner

THEROIGNE DE MERICOURT 
Theroigne oder Lambertine de Mericourt, die das dritte Armeekorps der Vorstädte kom- 
mandierte, war dem Volk als die „schöne Lütticherin“ bekannt. Die Revolution hatte sie 
— wie der Wirbelwind die beweglichen Dinge — nach Paris gelockt. Sie war die un- 
reine Jeanne d’Arc des öffentlichen Platzes. Beschimpfte Liebe hatte sie in Ausschwei- 
fungen gestürzt; die Beschämung des Lasters gab ihr den Durst nach Rache. Wenn sie die 
Aristokraten vernichtete, glaubte sie, ihre Ehre zu rehabilitieren: sie wusch ihre Schande 
in Blut ab. Sie war in Mericourt, unweit Lüttich, geboren, gehörte einer reichen Land- 
wirtsfamilie jan und genoß die Erziehung der hohen Klassen. Mit ı7 Jahren hatte ihre 
außerordentliche Schönheit die Aufmerksamkeit eines jungen rheinischen Edelmannes 
erregt, dessen Schloß in der Nähe ihres Wohnortes lag. Geliebt, verführt, im Stich gelassen, 
war sie aus dem väterlichen Hause nach England geflohen. Sie blieb einige Monate in Lon- 
don und kam dann nach Frankreich. Sie wurde Mirabeau empfohlen und lernte durch ihn 
Siey&es, Joseph Chenier, Danton, Ronsin, Brissot, Camille Desmoulins kennen. Romme, 
zin mystischer Republikaner, entzündetein ihr das Feuer des deutschen Illuminismus. Jugend, 
Liebe, Rachsucht, die Berührung mit diesem Revolutionsherd erhitzten ihren Kopf. Sie 
lebte in dem Rausch der Ideen, der Leidenschaften und der Lüste. Zuerst hing sie an den 
großen Neuerern von 89, dann glitt sie in die Arme reicher Wüstlinge, die ihre Reize teuer 
bezahlten. Aus der Kurtisane des Reichtums wurde die freiwillige Prostituierte des Volkes, 
Gleich den großen Huren Roms oder Ägyptens verschwendete sie an die Freiheit das Gold, 
das sie aus dem Laster schöpfte. Schon bei den ersten Aufständen zeigte sie sich auf der 
Straße. Sie weihte ihre Schönheit, der Menge als Fahne zu dienen. In einem bluffarbigen 
Amazonenkleid, den wallenden Federbusch auf dem Hut, den Säbel an der Seite, zwei 
Pistolen im Gürtel flog sie zu den Aufständen. In der ersten Reihe half sie, die Gittertore 
des Hötel des Invalides zu sprengen, um die Kanonen herauszuholen. Sie hatte als die 
erste im Sturm den Turm der Bastille erstiegen. Die Sieger weihten ihr auf der Bresche 
einen Ehrensäbel. In den Oktobertagen führte sie die Weiber von Paris nach Versailles. 
Zu Pferd neben dem Wüterich Jourdan, den man den „Mann mit dem langen Bart“ nannte, 
orachte sie den König nach Paris zurück. Sie war, ohne zu erblassen, den abgehauenen 
Köpfen der Gardes du Corps gefolgt, die auf den Piken als Trophäen getragen wurden. 
[hr Wort hatte trotz des ausländischen Akzents die Beredsamkeit der Rebellion. Sie erhob 
ihre Stimme in den Stürmen der Klubs und schalt von den Galerien herab in den Saal. 
Zuweilen hielt sie Volksreden bei den Cordeliers. Camille Desmoulins spricht von der 
Begeisterung, die eine ihrer Improvisationen dort hervorrief. „Ihre Bilder,“ sagt er, „waren 
aus Pindar und der Bibel entlehnt; es war der Patriotismus einer Judith.“ Sie stellte den 
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