ROBESPIERRE VERLANGT DIE HINRICHTUNG
DES KÖNIGS
Aus der Konventsrede vom 5. Dezember 1792
Man zieht Euch von der eigentlichen Frage ab. Es liegt hier kein Prozeß vor. Ludwig ist
kein Angeklagter, Ihr seid keine Richter. Ihr habt keine Sentenz für oder gegen einen Men-
schen zu fällen, sondern eine Maßregel des öffentlichen Wohls zu ergreifen, einen Akt
nationaler Providenz zu üben. (Beifall.) Welches ist der Entschluß, den die gesunde
Politik vorschreibt, um die werdende Republik zu zementieren? Daß man die Verachtung
des Königtums tief in die Herzen eingrabe und alle Anhänger des Königs mit Betäubung
schlage. Wenn man also sein Verbrechen der Welt als ein Problem, seinen Prozeß als
einen Gegenstand der imposantesten Diskussion, der inbrünstigsten Beratung darstellt,
die jemals geschehen ist, wenn man zwischen die Erinnerung seiner Vergangenheit und
seines Bürgertitels eine unermeßliche Distanz legt, so hat man gerade das Mittel gefunden,
das ihn der Freiheit gefährlicher macht. Ludwig XVI. ist König gewesen und die Republik
ist gegründet. Die große Frage, die Euch beschäftigt, ist durch dieses einzige Wort schon
entschieden. Ludwig ist durch seine Verbrechen entthront. Er hat gegen die Republik kon-
spiriert; er wird verurteilt, oder die Republik wird nicht freigesprochen. (Berfall.) Wenn
man vorschlägt, Ludwig XVI. den Prozeß zu machen, so stellt man die Revolution in Frage:
Kann er gerichtet werden, so kann er freigesprochen werden; kann er freigesprochen werden,
so kann er unschuldig sein. Ist er aber unschuldig, was wird aus der Revolution? Ist er
anschuldig, was dann sind wir anders als seine Verleumder? Die Manifeste der fremden
Höfe gegen uns sind dann gerecht. Selbst sein Gefängnis ist dann eine Mißhandlung. Die
Föderierten, das Pariser Volk, alle Patrioten des französischen Reiches sind dann straf-
bar; und der große Prozeß, seit so vielen Jahrhunderten vor dem Tribunal der Natur, der
Prozeß zwischen dem Verbrechen und der Tugend, zwischen der Freiheit und der Tyrannei,
ist endlich zugunsten des Verbrechens und des Despotismus entschieden. Bürger, seid auf
Eurer Hut! Ihr werdet hier von falschen Begriffen getäuscht. Die majestätischenBewegungen
eines großen Volkes, die erhabenen Regungen der Tugend erscheinen uns wie vulkanische
Ausbrüche und als der Umsturz der politischen Gesellschaft. Wenn eine Nation gezwungen
ist, zum Recht der Insurrektion zu greifen, so tritt sie dem Tyrannen gegenüber in den
Naturzustand zurück. Wie könnte der Tyrann den gesellschaftlichen Pakt für sich anrufen ?
Er hat ihn vernichtet! Welche Gesetze sind an seine Stelle getreten? Die‘ Gesetze der
Natur: das Volkswohl. Das Recht, einen Tyrannen zu bestrafen, und das Recht, ihn zu
entthronen, ist ein und dasselbe. Das eine verträgt keine andere Form als das andere.
Der Prozeß des Tyrannen ist der Aufruhr. Sein Urteil ist Sturz seiner Gewalt; seine
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