Full text: Girondisten und Jakobiner

GUADET 
Guadet, geboren zu Saint- Emilion in der Umgebung von Bordeaux, war schon vor dem 
Alter, in dem die Menschen sich einen Ruf zu begründen Zeit haben, als Advokat berühmt 
und von der politischen Rednerbühne ungeduldig erwartet. Er trat endlich in.die Gesetz- 
gebende Versammlung ein, als Schüler Brissots weniger tief, ebenso mutig und beredter 
als er, innig verbunden mit Gensonne und Vergniaud, die das gleiche Alter, die gleichen 
Leidenschaften und die gleiche Heimat ihm nahe stellten, begabt mit einer starken Seele 
ınd einer hinreißenden Rede, ebenso geschickt, den Bewegungen einer Volksversammlung 
Einhalt zu tun, als sie einer Entscheidung zuzutreiben. Er steigerte alle diese Gaben des 
[ntellektes durch jene südliche Physiognomie, auf der die Leidenschaft glüht und das 
Wort. — Seine Wahl entriß ihn dem Privatleben und der Liebe einer Jungen Frau, die 
er gerade geheiratet hatte. Sein Wort war weniger glänzend als das Vergniauds, aber es 
versetzte die gleichen furchtbaren Streiche. Er war ehrlicher wie jener und herber; er 
wurde weniger bewundert und mehr gefürchtet. Der König, der den Einfluß Guadets 
kannte, wünschte ihn durch das Vertrauen, das Verführungsmittel der edlen Herzen, an 
sich zu fesseln. Die Girondisten schwankten noch zwischen der konstitutionellen Monarchie 
und der Republik. Guadet willigte in eine geheime Audienz in. den Tuilerien. Die Nacht 
verschleierte seinen Gang. Geheime Pforten und Treppen führten ihn in ein Gemach, wo 
der König und Marie-Antoinette allein seiner warteten. Die Einfachheit und Gutmütig- 
geit Louis’ XVI. triumphierten gleich nach der ersten Anrede ‚über die politischen Vor- 
arteile der redlichen Männer, die sich ihm nahten. Er begrüßte Guadet wie eine letzte 
Hoffnung. Er schilderte ihm das Grauenvolle seiner Lage als König und vor allem als 
Gatte und Vater. Die Königin vergoß Tränen vor dem Abgeordneten. Die Unterredung 
dauerte bis tief in die Nacht. Es wurden Ratschläge verlangt, gegeben und vielleicht nicht 
befolgt. Aufrichtigkeit war auf beiden Seiten in den Herzen, Beharrlichkeit und Festigkeit 
des Entschlusses wohl kaum. Als Guadet sich entfernen wollte, fragte ihn die Königin, ob 
er nicht den Dauphin zu sehen wünsche; sie selbst nahm eine Kerze vom Kamin und führte 
ihn in ein Kabinett, wo der junge Prinz im Bette lag und schlief. Die Anmut seines Gesichts, 
sein ruhiger Schlaf in dem Palast voller Angst, die junge Mutter, Frankreichs Königin, die sich 
mit der Unschuld ihres Sohnes deckte, um das Mitleid eines Feindes zu erregen, rührten 
Guadet. Er strich mit der Hand die Haare vom Gesicht des Dauphins und küßte ihn auf 
die Stirn, ohne ihn aufzuwecen. „Erziehen Sie ihn für die Freiheit, Madame, sie ist die 
Bedingung seines Lebens“, sprach er zur Königin und wischte eine Träne von den Lidern. 
So herrscht im Herzen des Menschen stets die Natur über den Parteigeist. Dieser Mann, 
der weinend die Stirn des jungen Königs küßt, ist einer von denen, die ihm neun Monate 
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