Partheneien
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Epinikien, anmutig und leicht‘“!). Ferner ist dem aktuellen Teil
viel mehr Raum gewidmet als sonst. In dem erhaltenen Stück fehlen
Sentenz und Mythos völlig. Daß sie in den verlorenen 38 oder
83 Versen enthalten waren, müssen wir auf Grund der übrigen
Partheneienfragmente annehmen (104b weist einen Mythos, 104c
Gnomen auf). Doch ist so viel sicher, daß die erste Person, die sich
in allen drei Kolumnen des Papyrus findet (V. 26—935; 42, 45. 49,
51; 70) durch das ganze Partheneion die Führung hatte. Zeigen
diese Merkmale, daß Pindar, entgegen seiner sonstigen Gewohnheit,
das Lied in bemerkenswerter Weise auf die Sängerinnen zugeschnit-
ten hat, so lehrt ein Vergleich mit Alkman Fr. 1, dem einzigen er-
haltenen Stück eines Partheneion, das sich überhaupt mit Pindars
Fragment vergleichen läßt, was an diesem trotz allem pindarisch ist.
In beiden Fällen wird ein Lied von einem Mädchenchor zu Ehren
einer Gottheit gesungen. Beide Chöre sprechen von sich in der
ersten Person und im Singular. Gemeinsam ist auch das Zurück-
treten der Sentenz; der Mythos dagegen nimmt bei Alkman einen
großen Raum ein. Vom aktuellen Teil ist er deutlich getrennt. Seine
Heldenaufzählungen entsprechen dem archaischen Stil. V. 39 setzt
ein ganz anderer Ton ein. Mythen und Sentenzen, die der Dichter
der Hörerschaft schuldig war, sind abgetan, und nun ist 60 Verse
lang das einzige Thema: Frauenschönheit. Alles Steife scheint hier
plötzlich gelöst. Die Worte lassen lebenslustige Mädchen vor
unserem Blick erstehen, wie sie die archaische Kunst des sechsten
Jahrhunderts so zahlreich aufweist, gleich als ob die Dicht-
kunst der bildenden Kunst um ein Jahrhundert voraus sei,
Wenn irgendwo, so zeigt sich in diesem Fragment, daß Alkman aus
seiner Iydischen Heimat, dem jonischen Kulturkreis, mehr mitge-
bracht hat als „epische Worte und Formen“ 2), nämlich sein Frauen-
bild. Der Chor, der eben noch nach alter Weise von Heldenkämpfen
berichtete, lenkt nunmehr den Blick auf sich selbst®). Er greift die
einzelnen Mädchen aus seinem Kreis heraus, stellt sie schalkhaft
nebeneinander, mißt ihre Werte. Nach und nach werden alle Namen
der zehn Chormädchen genannt (vgl. Bowra, Greek Lyric Poetry 36).
Dann und wann herrscht die Fiktion eines lebhaften Geplauders
1) Wilamowitz, Gött. Gel, Anz, 166, 1904, 673. Ähnlich urteilt Schroe-
der, Phil. Wochenschr. 24, 1904, 1478.
2) O. Hoffmann, Gesch. d. griech. Sprache 1, 100.
3) Vgl. Alkman Fr. 32 und 33, wo der Mädchenchor sich ausdrücklich
zur Schau stellt.