Themis als Schlichterin
wie den Epikern Themis erscheint, sondern ein geistiges, eÖßovAos,
das im Epos noch nicht gebraucht war. Dieser Begriff des Rat-
wissens ist für Pindar so sehr mit dem Namen der Orakelgöttin
eins geworden, daß er ihr dreimal dies Epitheton gibt (auch
Fr. 30, 1; O. 13, 8). Daß diese Wiederholung des Beiworts nicht
mit homerischer Stereotypie auf eine Stufe gestellt werden kann,
leuchtet bei dem äußerst gewählten Stil Pindars wohl ein. Bei
anderen Dichtern finden sich Epitheta, die Themis als ratwissende
Prophetin charakterisieren, nur vereinzelt: Aisch. Prom. 18 t%s
öedoßodiov ... Okmö0s5; Bakchyl. 15, 55 zvräg Oeurtoc. Ver-
ständigen Rat, muxwmwäy uNtm, rühmte Pindar auch an der wahr-
sagenden Medeia P. 4, 58 (vgl. S. 28).
Wie in P. 4 fehlt auch in I. 8 jede Nüance der äußeren Erschei-
nung der Prophezeienden. Auch sonst werden Einzelheiten oder
auch nur Umrisse des realen Geschehens nicht der Erwähnung ge-
würdigt; & uEcoıoı (V. 31) ist alles, was wir an Raumbegriffen
übermittelt bekommen. In der nun beginnenden Prophezeiung selbst
ist die langsame Verdeutlichung der Gestalt fortgesetzt. Sie wird
nicht gleich sprechend eingeführt, sondern erst nach drei Versen
abhängiger Rede. Schon die zarte Art der Einführung unterscheidet
Themis von anderen Göttinnen Pindars, wie z. B. der Artemis
und der Athene, von denen wir mehrfach einen leiblichen Eindruck
erhalten, .
Erst die prophezeienden Worte der Themis lassen uns die eigene
Würde, mit der Pindar sie umkleidet, erkennen. Die Gutratende
weiß allein in der Versammlung die Zukunft, sie wächst so selbst
über Zeus hinaus. Schlichtend steht sie in der Mitte zwischen zwei
vom Eros besessenen Göttern (V. 29) als das Prinzip der Unbewegt-
heit, als statische Gegenfigur zu der rasenden Artemis der himm-
lischen Dionysien oder der Koronislegende (vgl. S. 18. 20). Wie
Medeia unter den Schiffsmannen erhebt sie ihre Stimme selbst-
bewußt in der Götterversammlung. Pindar läßt sie in indirekter
Rede verkünden, was Schicksalsspruch ist: die eigentlichen d&o-
gara, die Grundlage für Themis’ Einigungsversuch. Einen Sohn,
so sagen die Sprüche, würde Thetis gebären, wenn Zeus oder einer
seiner Brüder ihr beiwohnten, einen Sohn, der stärker sein würde
als sein Vater und eine Waffe führen würde, mächtiger als Blitz
und Dreizack (33ff.). V. 35c geht die Aussage der Themis in direkte
Rede über; ihre eigenen Worte werden vernehmbar: „Laßt ab von
diesen Wünschen!‘ Mit V. 38 wird aus der Warnerin eine Be-
Ahlert, Mädchen und Frauen in Pindars Dichtuug 3
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