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3. Liebe
(dumw yapndAyaı (Schol. V. 28), also bis nach der Geburt des Gottes-
kindes, wie es z. B. Polymele tat, die erst dann von Echekles heim-
geführt wurde, als sie Eudoros, den Sproß ihrer heimlichen Ver-
bindung mit Hermes, geboren hatte, Il. 16, 187ff. Alsdann hätte
der Vater für Koronis ein Hochzeitsfest ausgerichtet, und die
Mädchen der Nachbarschaft hätten am Abend Hymenaien ge-
sungen. Hier hat Pindar, wie er es öfter tut (vgl. S. 102), ein Bild
von einer Mädchengruppe eingeführt, die, vielleicht unbeabsichtigt,
einen vortrefflichen Kontrast zu der unglücklichen Koronis bildet?).
An V. 19bf. hatten wir S. 45 gezeigt, daß Pindar von Koronis’
Streben nach dem Fernen redet anstatt von ihrer erotischen Leiden-
schaft für den Arkader Ischys. Überhaupt spricht der Dichter in
dem ganzen Mythos nicht vom Eros als wirkender Macht, wohl
aber von dem Beilager, das er ja als Tatbestand braucht, um die
Strafe zu begründen. Mit der Neigung nach dem Fernen ist das
Tor zur Sentenz geöffnet?). Nach delphischer Moral ist es ein
Charakterfehler, über die Säulen des Herakles hinauszustreben
(0. 3, 44f.; N. 3, 21; 4, 69). Koronis’ Schuld erscheint geringer:
„So erging es vielen‘ (V. 20b). Das tatsächliche Geschehen wird
in die Ebene überindividueller und übergeschlechtlicher Betrachtung
gehoben. Die lebensvolle Koronis der Eoie verschwindet hinter
Pindars Gnomen (V. 21—23)%. Man vergißt, daß die Sündige ein
Mädchen ist. Indem sie zum Gegenstand ethischer Betrachtung ge-
macht wird, wächst ihre Passivität.
Doch trotz der äußeren Kühle, mit der Pindar über dem Betrug
an seinem Gotte zu Gericht sitzt, scheint V. 24f. ein leises Mit-
gefühl mit dem tragischen Geschick des Mädchens anzuklingen:
8ox8 toL TtaUrayt) ueydAav ddray xallınernlov Annas) Kopwvlöos.
Dies ist die einzige Stelle des Gedichts, wo Koronis genannt wird und
wo sie ein Epitheton erhält. Es ist kein schon im Epos geläufiges,
1) Ähnlich ist Kyrene ihren anders gearteten Altersgenossinnen gegen-
übergestellt (vgl. S. 8). Fast alle pindarischen Frauen haben etwas
von der Norm Abweichendes, sei es nach der guten, sei es — das ist
seltener der Fall — nach der schlechten Seite, vgl. Medeia, Kassandra,
Klytaimestra.
2) Ähnlich biegt Pindar P. 10,59 von einer aktuellen Situation, die
ebenfalls einen erotischen Einschlag hat, zur Sentenz ab; vgl. S. 100.
3) Illig nennt S. 53 die Erzählung zutreffend „völlig unanschaulich,
sinnbildlich-paradeigmatisch‘‘,
4) So muß man, Turyn S. 84 folgend, schreiben.
5) A%ua Kann hier nicht „Mut, Frechheit“ (Böckh) oder gar ‚,Hals-
starrigkeit‘“ (Liddell-Scott) bedeuten, sondern einfach „Sinn“, xegt-
poaotIKOC H Koowric Scholl. 43a; vgl. Aisch. Sieben 616; Eur. Med. 348,