Mutterliebe
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Zwar sehen wir hier nicht die leibliche Mutter als Hüterin ihrer
Kinder vor uns — wer möchte sich auch wohl die zaod£voc dygotfoa
(vgl. S. 6) mit einem Kinde auf dem Schoße vorstellen? —, sondern
Horen und Gaia sind die Pflegerinnen. Doch dürfen wir ihr Ver-
halten durchaus als mütterlich bezeichnen und die Stelle in diesem
Zusammenhang besprechen. Die hohen Frauen werden nach Chirons
Prophezeiung das ihnen überbrachte Kind auf den Schoß setzen
und es anblicken; Nektar und Ambrosia werden sie ihm auf die
Lippen träufeln und es zu einem Unsterblichen aufziehen?).
Angesichts dieser gefühlvollen Verse von mütterlicher Pfiege
muß man die harten Worte, die Wilamowitz über die Mutter bei
Pindar spricht (vgl. S, 77, 1), zurückweisen. Auch Pindar vermag
sich in ein Mutterherz einzufühlen, wenn auch derlei Äußerungen
bei ihm nicht einen so großen Raum einnehmen wie bei anderen
Dichtern. So realistische Bilder aus der Kindererziehung, wie
Aischylos die Amme des Orestes eines entwerfen läßt (Cho. 749ff.),
findet man zwar bei Pindar nicht. Seine Worte über die Pflege des
Aristaios verlassen nicht die. Sphäre des Erhabenen: der Blick der
hohen Ammen ist der Träger der pflegerischen Empfindungen, und
auch das #%odas ist kein reales menschliches Säugen, sondern ein
göttliches, das dem Kinde Unsterblichkeit eingibt. Schon Malten
(Kyrene 14) und Illig S. 46 haben darauf hingewiesen, daß der
Dichter auf die Angabe des Ortes verzichtet, während im übrigen
die Anschaulichkeit weit geht. Apollonios, der nach Pindar kurz
die Geschichte von Kyrene erzählt, erreicht an der entsprechenden
Stelle durch deutliche Lokalangabe eine größere Vorstellbarkeit
(s. Illig a. a. O0.).
Auch Paian 6, 12 deutet eine freilich karge Äußerung darauf hin,
daß für Pindar das Wort „Mutter‘“, anders als etwa das Wort
äloxos (vgl. S. 74), ethischen Gehalt haben kann. Ein Gleichnis
spricht dort von einem „Kinde, das der lieben Mutter gehorcht‘“,
nalc Äte uatTEOL KEÖvG nELÖCLEVOS. So folgt Pindar dem Rufe
Pythos, als bei einem Göttermahl ein Männerchor fehlt (V. 9).
Die Mutter tritt bei Pindar zurück, wenn von Herangewachsenen
die Rede ist. So gibt es beispielsweise in seinen Gedichten keine
Entsprechung zu der herzlichen Liebe zwischen Thetis und Achilleus,
die uns Homer schildert. Wenn P. 12, 14f. erwähnt wird, Perseus habe
dem Polydektes das Mahl, die fortwährende Knechtung der Mutter
(Danae), uato6s Euredov dovloodvay, und das erzwungene Beilager
1) #00au eig. „säugen‘“, s. Schol. 113a; Schroeder 84.
Ahlert, Mädchen und Frauen in Pindars Dichtung