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Erlöser der Nationen und der Menschheit angeboten haben, und
wir haben darum die Pflicht, sie genau anzusehen, insbesondere,
wenn sie uns ihre Kultur in Pillen ihrer schweren Artillerie auf-
jzwingen. Der Deutsche ist eine merkwürdige Mischung von
Schullehrer und Söldner: Zuerst gibt er einen Vortrag über das
Heil der Seele zum besten und dann stößt er einen vor den Kopf
(etwa auch umgekehrt).
Ich hätte auch einiges über die Franzosen, Engländer, Ameri
kaner, Russen usw. zu sagen und ich hätte so manches einzu
wenden; ich habe dies in meiner Arbeit über Rußland und in
meiner Tätigkeit daheim in unseren nationalen Verhältnissen zur
Genüge bewiesen. Ich war niemals ein nationaler Chauvinist, ja
ich bin nicht einmal ein Nationalist — ich habe schon öfters ge
sagt, daß ich die Nationalität immer und von meiner frühesten
Jugend an von der sozialen und sittlichen Seite bewertet habe
— die Unterdrückung einer Nationalität ist mir eiine Sünde gegen
die Menschheit und Menschlichkeit.
Der Sinn meiner Ausführungen kann nicht sein, daß wir ent
weder die französische oder die englische oder irgendeine andere
westliche Kultur anzunehmen hätten; in Frage kommt bloß eine
Synthese aller Kulturelemente, die das Endergebnis der Arbeit
aller Nationen sind. So arbeiten de facto die Philosophen und
Fachleute aller Nationen, und viele Leute machen es in ihrer
Alltagspraxis (Auswanderer, Kaufleute und alle diejenigen, die
Gelegenheit haben, sich mit den verschiedenen Nationen näher
bekannt zu machen) auch so. Die erwünschte Internationalität ist
nicht damit erschöpft, daß unser Verkehr mit der Fremde er
leichtert ist, sondern sie besteht eben in, dieser Kultursynthese.
Und in dieser Synthese wird auch der deutsche Beitrag mit
herübergenommen werden, und es wird kein kleiner Beitrag sein.
Soweit es sich jetzt um eine politische Grundlegung dieser Kultur
synthese handelt, so können wir allerdings das deutsche Preußen
tum nicht akzeptieren, sondern müssen uns an das französische,
amerikanische, englische Muster der Demokratie halten: Der
Westen weist uns die Tendenz, nicht die Einzelheiten der künf
tigen Entwicklung.
Man sagt uns: Irgendein Volk, irgendein Staat muß der
führende, der erste sein. Zugegeben, aber er wird der primus
inter pares, nicht über den anderen sein — die Organisation
Europas wird demokratisch, nicht aristokratisch sein. Die mittel