Full text: Das neue Europa: der slavische Standpunkt

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Die Drohung, mit den Gefangenen werde wie mit Verrätern 
verfahren werden, schreckt das tschechoslowakische Heer nicht: 
es hat bereits die Erklärung abgegeben, es werde jede einzelne 
Hinrichtung mit der Tötung eines deutschen oder ungarischen 
Gefangenen vergelten und es mache für jede Hinrichtung die 
Habsburger und Hohenzollern persönlich verantwortlich. 
Nach der Wiener Erklärung ließ sich auch Berlin offiziell 
vernehmen. Der Kolonialminister Solf (einer Nachricht vom 
22. August 1918 zufolge) hat sich über die tschechoslowakische 
Armee in sehr frechen Worten geäußert und sie eine vaterlands 
lose Räuberbande genannt; nach der Niederlage der Deutschen 
bei Bachmatsch hat der deutsche General diese Bande um einen 
Waffenstillstand gebeten, und im Jahre 1866 hat die preußische 
Armee, als sie in ihrem Kampfe gegen Österreich nach Böhmen 
eingefallen war, das Recht des tschechischen Volkes auf Selb 
ständigkeit offiziell anerkannt und ihm deren Wiederherstellung 
versprochen. Den Tschechen erschienen damals die Preußen 
gefährlicher als die Österreicher; seither haben sich die Tschechen 
und Slowaken überzeugt, daß die Habsburger nichts weiter sind 
als willfährige Bediente Preußens, und sagen sich von ihnen los. 
Mit demselben Rechte, mit dem die Habsburger zu böhmischen 
Königen gewählt worden waren, hören sie auf, böhmische Könige 
zu sein — das Volk hat sie berufen, das Volk entläßt sie jetzt. 
Graf Czernin hat in dem oberwähnten Memorandum ganz richtig 
erkannt, daß das tschechische Volk das am wenigsten dynastisch 
gesinnte ist. 
46. Aus dem Angeführten geht klar hervor, daß den Tschechen 
das Zugeständnis nationaler Autonomie nicht genügt und daß 
ihnen jetzt nicht mehr die Föderation mit Österreich genügt; die 
Tschechen haben ein historisches Recht auf die Selbständigkeit 
der böhmischen Länder (Böhmen, Mähren, Schlesien), haben ein 
Recht auf die Selbständigkeit des von ihnen geschaffenen Staates. 
Außerdem haben sie ein natürliches und historisches Recht auf 
die Angliederung der von den Magyaren brutal bedrückten Slo 
wakei. Die Slowakei, die einst den Kern des großmährischen 
Reiches gebildet hatte, wurde im 10. Jahrhundert vom Mutter 
lande losgerissen, wurde später vorübergehend mit ihren Stammes 
genossen politisch vereinigt und war eine Zeitlang auch selb 
ständig. In kultureller Beziehung verblieben die Slowaken immer 
in enger Verbindung mit Böhmen. Die Magyaren waren kulturell
	        
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