Full text: Das neue Europa: der slavische Standpunkt

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nur drei unabhängige Staaten entstehen, der polnische, der 
tschechoslowakische und der finnische, Böhmen und Polen sind 
keine neuen Staaten, sie waren frei, es wird ihnen somit die 
Freiheit nur zurückgegeben werden. Die übrigen Staaten werden 
bleiben, einige werden um einiges Gebiet vergrößert, andere 
werden kleiner; Österreich-Ungarn wird sich allerdings stark 
ändern und auch Rußland. Und gerade die Veränderung Ruß 
lands ist wohl der schlagendste Beweis dafür, daß der Weltkrieg 
ein anderes Ergebnis haben wird, als die Pangermanen erwartet 
haben. 
Aber der neue Mensch, homo Europaeus, wird nicht nur 
aus der äußeren, sondern vornehmlich aus der inneren Politik 
geboren werden — alle Völker werden nach dem Kriege genötigt 
sein, ihr ganzes Denken der materiellen und geistigen Regeneration 
zu widmen. Das gegenseitige Abschlachten ist keine große Tat 
— der historische Augenblick wird erst dadurch groß werden, daß 
die Völker sich die Kriegsgreuel zum vollen Bewußtsein bringen, 
das Kriegsfieber analysieren und sich annähernd zu orientieren 
trachten, wohin und wie die Entwicklung sich vollziehen sollte, 
wenn anders wir uns für einen dauernden Frieden und für die 
Flumanität entscheiden wollen. 
Die Demokratie muß zur allgemeinen Überzeugung, zur Welt 
anschauung werden. In Preußen haben die Deutschen die ge 
waltsame Germanisierung der Polen organisiert und es hat sich 
ein Philosoph (Ed. v. Hartmann) gefunden, welcher im Namen 
der preußischen Idee die „Ausrottung“ der Polen verlangt hat; 
in Ungarn behauptet sich die magyarische Oligarchie durch Nieder 
schießen slowakischer, serbischer und rumänischer Wähler und 
durch gewaltsame Unterdrückung der Schulen, Literaturen und 
Sprachen; in Österreich haben die Pangermanen öffentlich über 
ihre Pläne, ganze Völker zu germanisieren, diskutiert; der rus 
sische Zarismus folgte dem deutschen Beispiele — das zivilisierte 
Europa blieb ruhig und zufrieden inmitten aller dieser politischen 
Greuel, bis dieser Krieg auf die Gefahr aufmerksam machte, in 
welcher nicht nur die osteuropäischen Völker, sondern ganz Europa 
viele Jahre gelitten haben. 
Die politische Aufgabe der demokratischen Rekonstruktion 
Europas muß vollendet oder besser gesagt, eigentlich erst er 
möglicht werden und zwar durch sittliche Umerziehung der Völker 
— entweder Demokratie oder dynastischer Militarismus, entweder
	        
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