Full text: Das neue Europa: der slavische Standpunkt

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und internationalen Gleichberechtigung der Nationen entspricht. 
Die modernen Kommunikationsmittel haben Teilen von Nationen, 
die von verschiedenen Staaten beherrscht werden, eine kulturelle 
Einheit zu bilden ermöglicht — die Nationalität ist zu einer 
bewußten Macht, die Sprache zu ihrem Exponenten und die 
Literatur, im weitesten Sinne des Wortes, zum Ausdrucke und 
zum wirksamsten Organe der Nationalität geworden. 
Darum wird heute die politische Unselbständigkeit von 
Nationen und Teilen von Nationen in den gemischten Staaten 
so stark und so allgemein empfunden und so schwer ertragen. 
Welch eine Barbarei war und ist es z. B., die polnische Nation 
in drei Teile zu spalten und den Kindern in Preußen und Ruß 
land zu verbieten, polnisch zu sprechen! Mit welchem Rechte 
werden die Polen, die Tschechen und Slowaken usw. politisch 
unterdrückt, wenn andere und kleinere Nationen (Dänen, Hol 
länder usf.) frei sind? Ist es nicht geradezu ein Widersinn, wenn 
der Rumäne in Rumänien frei, sein Nachbar und Bruder in Ungarn 
hingegen unterdrückt ist? Weshalb haben die Albanesen ihren 
Staat, und warum sollen die Jugoslaven keinen haben? Usf. 
Dieses Mißverhältnis in der offiziellen Wertung der Nationali 
tät und des Staates entspringt der mittelalterlichen Wertung des 
durch die Kirche religiös geheiligten Staates, einer Wertung, 
welche der neuzeitliche Absolutismus übernommen hat. Diesen Ab 
solutismus haben die Dynastien und die Aristokraten gestützt; als 
aber im 18. Jahrhundert die große Revolution (diese Revolution 
war nicht nur eine politische, sondern auch eine ethische und 
intellektuelle) die Demokratie und die Republik organisiert hat, 
als der Absolutismus, der Monarchismus und der Aristokratismus 
geschwächt wurden, da kamen auch die Nationalität und Sprache 
in der staatlichen Verwaltung zur Geltung. Die theokratische 
Überschätzung und die geradezu göttliche Verehrung, die dem 
Staate — in concreto den Dynastien — gezollt wurde, mußte der 
demokratischen Wertung weichen; der Staat wird das Zentral 
organ der Verwaltung, hört auf, Organ der aristokratischen Be 
herrschung zu sein und wird dadurch zu einem Werkzeug der 
Nationen und ihrer kulturellen Bestrebungen. Daher erklärt sich 
das in ganz Europa rege Streben aller Nationen nach politischer 
Einigung und Befreiung, nach politischer Organisation Europas 
auf Grundlage der Nationalität. Der innere historische Zusammen 
hang zwischen Demokratie, Sozialismus und Nationalität bietet
	        
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