Full text: Das neue Europa: der slavische Standpunkt

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wohl ein bedeutender Teil des Volkes kulturell auf einer hohen 
Stufe gestanden ist. Die Tschechen und Slowaken waren gleich 
falls selbständig; die Tschechen sind staatsrechtlich bis heute 
selbständig und stehen in kultureller Hinsicht durchaus nicht auf 
niedrigerer Stufe als die Deutschen; die Slowaken stehen, was 
Kultur betrifft, nicht niedriger als die sie knechtenden Magyaren. 
Und dasselbe gilt von den Serben und Kroaten; Serbien und 
Montenegro sind selbständig und sind natürlich ein stetes 
lebendiges Vorbild für die von Österreich und Ungarn in Knecht 
schaft gehaltenen Jugoslaven; Kroatien hat sich einen gewissen 
Grad von Unabhängigkeit zu erhalten gewußt und empfindet 
daher den ungarischen Druck um so schwerer. Ähnlich verhält es 
sich mit den Rumänen und den Italienern in Österreich-Ungarn. 
Auf dem Balkan haben sich die Völker erst in den letzten 
Jahren von dem barbarischen Joche der Türken befreit und sind 
heute noch nicht zur Ruhe gekommen; die Türkei hält noch einen 
Teil der Griechen in ihrer Obergewalt und greift störend in die 
Verwaltung der Balkan-Völker ein; bis zum heutigen Tage spielt 
aber, was die nationalen Fragen anbelangt, auch der kultur 
politische Einfluß von Byzanz auf dem Balkan eine gewisse Rolle. 
Wenn wir mit diesen nationalen Fragen die nationalen Fragen 
des Westens vergleichen, so nimmt man den augenfälligen Unter 
schied sofort wahr. Erstens gibt es im Westen überhaupt wenig 
nationale Konflikte. Im Westen ist eigentlich nur der Streit um 
Elsaß-Lothringen akut, im Osten gibt es wenigstens neun akute 
nationale Fragen. Im Westen handelt es sich um verhältnismäßig 
kleine Minderheiten (140 000 Dänen, 210 000 Franzosen), während 
im Osten ganze Völker von ansehnlicher Größe in Betracht 
kommen (Polen mindestens 20, Tschecho-Slowaken 10, Jugoslaven 
10, Rumänen 10 Millionen usw.). 
Und soweit es sich um den deutsch-französischen Gegensatz 
handelt, so ist derselbe nicht rein nationaler Natur. Zwischen 
den beiden Völkern und Staaten ist bereits durch Jahrhunderte 
ein verhältnismäßig kleiner Landstrich (nicht ganz 2 Millionen 
Einwohner) strittig, der Zwist drehte sich stets mehr um die 
Großmachtstellung, nicht um die Bewahrung der Nationalität, 
wie zwischen den Deutschen und den kleinen slavischen Staaten; 
die deutsche, auf Eroberung ausgehende Kolonisation ist gerade 
gegen den Osten gerichtet. Darum dürfen wir wiederhoeln, daß es 
im Westen große (sprachliche) Nationalitätenkämpfe nicht gibt,
	        
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