Krieg oder Frieden
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Dazu kommt nun für die deutsche Perspektive, daß unsere Politik, wo
hin sie sich für ihre natürliche Expansion wenden möge, auf allen Wegen
die Londoner Diplomatie sich gegenüberfindet. Blickt sie nach Kleinasien,
so stellt sich England ihr entgegen; in China, in der Südsee, in Marokko;
ja in Südamerika ist es britische Eifersucht, welche die deutsche Initiative
verhindern möchte. Diese Politik der prinzipiellen Negation deutschen Be
strebungen gegenüber ist in manchen Beziehungen kleinlich, ja geradezu
kurzsichtig. Denn man vergißt scheinbar, daß ein Dampfkessel, dessen
Ventil man verschließt, am Ende explodieren muß zur Gefahr der Um
stehenden. Aber wer die britische Presse und auch die englische Staats
mannschaft in den letzten Jahren beobachtet hat, muß zugeben, daß solche
Bestrebungen das eigentliche Leitmotiv für die auswärtige Politik Groß
britanniens geworden zu sein scheinen. „Hie niger est, hune tu, Eomane,
cavetoM“ Wer könnte sich wundern, wenn Deutschland sich gegenüber
diesen ununterbrochenen Hemmungen seinerseits prinzipiell zu dem Gegen
programm aufraffte: „Ote-toi, que je m’y mette 1 2 .“
Man fragt sich naturgemäß, und ich selbst habe mir diese Frage wohl
hundertmal vorgelegt, ob sich nicht ein Ausgleich in diesen Gegensätzen
finden lassen kann. Die Idee eines Krieges zwischen Großbritannien und
dem Deutschen Reich ist eine so grauenvolle, daß selbst die kühnste
Phantasie instinktiv davor zurückschrecken muß. Frieden ä tout prix 3 wird
jede der beiden Mächte ablehnen. Ein Ausgleich müßte also die wirt
schaftlichen Lebensinteressen der beiden Staaten ehrlich anerkennen. Groß
britannien als solche Conditio sine qua non 4 kann billigerweise nur die
Respektierung seines heutigen Besitzstandes erwarten. Deutschland aber
muß seinerseits Ellbogenraum in den übrigbleibenden drei Vierteln der
Kontinente verlangen, soweit es sich solchen verschaffen will und kann.
Solange man in London jede deutsche Eisenbahnkonzession in Schantung,
jeden Lieferungsvertrag in Konstantinopel, jede Bankgerechtsame in Fez
als einen Schlag gegen britisches Prestige und englisches Interesse emp
findet, ist an eine solche Verständigung auch nicht einmal zu denken. Wenn
man den Standpunkt, welchen die „Times" und andere englische Zeitungen
solchen Fragen gegenüber einnehmen, als Ausdruck der prinzipiellen Auf
fassung dieses Landes nehmen könnte, müßte man sich wundern, daß der
1 Vgl. s. 401 Arm: 1.
1 „Räume den Platz, damit ich ihn besetzen kann.“
3 „Um jeden Preis.' 1 4 „Unerläßliche Bedingung“.