Deutsch-englische Entente
(1912)
Vor einigen Wochen meldten deutsche Zeitungen, daß die deutsch-eng
lischen Verhandlungen zur Herstellung „besserer Beziehungen" unter
brochen seien. Vor kurzem las ich, daß sie nach Ostern wieder auf
genommen werden sollten. „Aber", so wird hinzugefügt, „eingeweihte
Diplomaten auf beiden Seiten versprechen sich nichts von solchen Verhand
lungen für ein positives Ergebnis." Dies ist meine eigene Meinung vom
ersten Augenblick an gewesen, als ich vom Besuch Lord Haldaneö in Berlin
hörte, und ich habe meine Gründe auch seiner Zeit entwickelt^. Es war für
den Kenner britischer Diplomatie von vornherein klar, daß es sich um
irgendein Motiv des „Einseifens" der deutschen Staatsmänner handelte.
Auch das Motiv war nicht schwer zu finden. Man wollte dem zusammen
tretenden Parlament eine beruhigende Weltlage auftischen. Auch wußte
man damals schon sehr genau, daß der Minenstreik bevorstehe, während
dessen irgendeine wirkliche Verwicklung mit dem Deutschen Reich höchst
gefährlich werden könne. Also warum den deutschen Michel an der Spree
nicht mit platonischen Verhandlungen in guter Laune halten?
Ein deutsch-englisches Einverständnis ist nur möglich auf der Grundlage
einer ehrlichen Verständigung über eine gemeinsame Auödchnungspolitik,
bei welcher Deutschland nicht stets der im wesentlichen gebende Teil wäre.
„Do ut des 1 2 !“ Dies wurde zur Zeit der Haldaneschen Reise theoretisch
auch auf englischer Seite anerkannt. „Es sei ein großer Irrtum", so hieß
es, „wenn die öffentliche Meinung in Deutschland annehme, daß Groß
britannien der berechtigten deutschen Expansion irgendwo in den Weg treten
wolle. So zum Beispiel werde die britische Regierung gar nichts dagegen
einzuwenden haben, ja sie werde es unterstützen, wenn Deutschland, im
Fall einer Zustimmung Portugals, portugiesische Kolonien in West- oder
auch Ostafrika für sich erwerbe." Wie großmütig! Freilich hatte die portu
giesische Regierung bereits aufs bestimmteste versichert, daß sie gar nicht
daran denke, auch nur einen Fußbreit von ihrem Kolonienbcsitz zu ver
kaufen. Also eine sehr überflüssige Großmut Großbritanniens gegen uns!
Inzwischen ist nun amtlich in Lissabon bekanntgegeben, daß Groß-
1 Vgl. den vorhergehenden Aufsatz.
2 „Ich gebe, damit Du gibst. u