Die Weltlage
451
beruhte sonst die russisch-französische Allianz, welche sich immer aus
gesprochener zu einem Schutz- und Trutzbündnis entwickelt? Einem Schutz-
und Trutzbündnis, welches seine Spitze doch gegen das deutsche Mittel
europa und nur gegen dieses richtet.
Damit gerät das Deutsche Reich nun allerdings in eine gefährliche Lage.
Es ist etwa die Gruppierung, welcher Friedrich der Große im Sieben
jährigen Kriege gegenüberstand. Nur, daß Österreich-Ungarn und Groß
britannien ein „Changez les dames“ 1 gemacht haben, und daß alle Be
teiligten wesentlich andere Machtfaktoren geworden sind. Wer würde im
Deutschen Reich von heute das Preußen von 1756 wiedererkennen, wer
andererseits im britischen Weltreich des 20. Jahrhunderts das England
vom 18. Jahrhundert? Auch die Französische Republik von heute zeigt ein
wesentlich anderes Gesicht als das Frankreich Louis' XV., der Marquise
de Pompadour, Soubises^ und Voltaires. Ebenso ist der russische Vcr-
fassungsstaat von heute gar sehr verschieden von dem kleinen Slawcn-
staat der Ara der Kaiserin Elisabeth. Nur in einem ist sich alles gleich ge
blieben, daß nämlich die Nachbarn Deutschlands darin übereinstimmen,
daß es sich in Europa viel bequemer und angenehmer leben ließe, wenn
das plumpe Deutsche Reich nicht da wäre, und wenn die Mitte des Erd
teils statt dessen wieder zum „geographischen Begriff" würde. Wer könnte
sich wundern, wenn aus solcher Einsicht der Entschluß sich kristallisierte,
die germanische Mitte von neuem dahin zurückzuschrauben? Daß es aber
nicht mit freundlichen Worten, sondern nur durch „Blut und Eisen"
möglich ist, weiß man in Paris und Petersburg, besonders in London,
genau so gut, wie Bismarck wußte, daß das Deutsche Reich nur durch
„Blut und Eisen" gegründet werden könne.
Es liegt mir fern, hier schwarzseherische Kannegießerei treiben zu wollen;
auch will ich an dieser Stelle nicht untersuchen, wo die Schuld liegt für
diese Verschlechterung unserer internationalen Lage gegenüber dem ersten
Vierteljahrhundert des Deutschen Reichs. Daß ein rechtzeitiger Krieg
unseren Staat vor der heraufsteigenden Gefahr hätte bewahren können,
das erscheint mir wahrscheinlich. Darüber wird die Geschichte befinden.
Ich beabsichtige hier ausschließlich, denkende Landsleute auf Gesichtspunkte
aufmerksam zu machen, welche sicherlich wirklich sind und in den 1 2
1 „Wechselt die Damen 11 , Tanzfigur aus der Quadrille.
2 Charles de Rohan, Fürst von Soubise (17IS—1787), Marschall von Frankreich,
Günstling der Pompadour.
29*