Full text: Gesammelte Schriften (3)

Die Weltlage 
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beruhte sonst die russisch-französische Allianz, welche sich immer aus 
gesprochener zu einem Schutz- und Trutzbündnis entwickelt? Einem Schutz- 
und Trutzbündnis, welches seine Spitze doch gegen das deutsche Mittel 
europa und nur gegen dieses richtet. 
Damit gerät das Deutsche Reich nun allerdings in eine gefährliche Lage. 
Es ist etwa die Gruppierung, welcher Friedrich der Große im Sieben 
jährigen Kriege gegenüberstand. Nur, daß Österreich-Ungarn und Groß 
britannien ein „Changez les dames“ 1 gemacht haben, und daß alle Be 
teiligten wesentlich andere Machtfaktoren geworden sind. Wer würde im 
Deutschen Reich von heute das Preußen von 1756 wiedererkennen, wer 
andererseits im britischen Weltreich des 20. Jahrhunderts das England 
vom 18. Jahrhundert? Auch die Französische Republik von heute zeigt ein 
wesentlich anderes Gesicht als das Frankreich Louis' XV., der Marquise 
de Pompadour, Soubises^ und Voltaires. Ebenso ist der russische Vcr- 
fassungsstaat von heute gar sehr verschieden von dem kleinen Slawcn- 
staat der Ara der Kaiserin Elisabeth. Nur in einem ist sich alles gleich ge 
blieben, daß nämlich die Nachbarn Deutschlands darin übereinstimmen, 
daß es sich in Europa viel bequemer und angenehmer leben ließe, wenn 
das plumpe Deutsche Reich nicht da wäre, und wenn die Mitte des Erd 
teils statt dessen wieder zum „geographischen Begriff" würde. Wer könnte 
sich wundern, wenn aus solcher Einsicht der Entschluß sich kristallisierte, 
die germanische Mitte von neuem dahin zurückzuschrauben? Daß es aber 
nicht mit freundlichen Worten, sondern nur durch „Blut und Eisen" 
möglich ist, weiß man in Paris und Petersburg, besonders in London, 
genau so gut, wie Bismarck wußte, daß das Deutsche Reich nur durch 
„Blut und Eisen" gegründet werden könne. 
Es liegt mir fern, hier schwarzseherische Kannegießerei treiben zu wollen; 
auch will ich an dieser Stelle nicht untersuchen, wo die Schuld liegt für 
diese Verschlechterung unserer internationalen Lage gegenüber dem ersten 
Vierteljahrhundert des Deutschen Reichs. Daß ein rechtzeitiger Krieg 
unseren Staat vor der heraufsteigenden Gefahr hätte bewahren können, 
das erscheint mir wahrscheinlich. Darüber wird die Geschichte befinden. 
Ich beabsichtige hier ausschließlich, denkende Landsleute auf Gesichtspunkte 
aufmerksam zu machen, welche sicherlich wirklich sind und in den 1 2 
1 „Wechselt die Damen 11 , Tanzfigur aus der Quadrille. 
2 Charles de Rohan, Fürst von Soubise (17IS—1787), Marschall von Frankreich, 
Günstling der Pompadour. 
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