Full text: Gesammelte Schriften (3)

Deutschland und der Nahe Osten 
(1913) 
Deutschland hat die Orientkrisis benutzt, um bessere diplomatische Be 
ziehungen zu England zu gewinnen. Das war die gegebene Politik, und 
zwar haben sich die deutschen Staatsmänner die Sache leicht gemacht. Aus 
der vorgeschobenen Stellung, welche das Reich in Konstantinopel ein halbes 
Mcnschenalter eingenommen hatte, trat man einfach zurück auf den Bis- 
marckschen Standpunkt des: „Was ist unsHekuba?"^ Als ob niemals uns 
eine besondere Freundschaft mit der Hohen Pforte verbunden hätte, blickte 
man plötzlich kühl und fremd auf die bis dahin halbwegs Verbündeten 
und überließ sie gelassen und gleichmütig ihrem Schicksal. Zn der 
internationalen Behandlung der Frage trat das Deutsche Reich bewußt 
überall in die zweite Linie zurück. Den britischen Staatsmännern wurde 
die führende Rolle in ihrer Abwicklung zugeschoben. London wurde als Ort 
gewählt, an welchem die Friedenskonferenz und die Besprechungen der 
Botschafter sich abspielten. Sir Edward Grey wurde der leitende Staats 
mann in diesem Zwischenspiel der europäischen Politik. Deutschland folgte 
der britischen Initiative, und dieser gebührt das Verdienst, unseren Erdteil 
friedlich durch diese Krise hindurchgeführt zu haben. 
Gleichzeitig hat der Deutsche Reichskanzler die etwaigen Verpflichtungen 
des Reichs gegenüber der Doppelmonarchie an der Donau offen und loyal 
anerkannt. Aber der deutsche Einfluß wirkte andererseits hemmend auf 
die Wiener Initiative und brachte Österreich-Ungarn monatelang zu der 
Rolle des unschlüssig Zaudernden, welche ihn soviel Geld und Ansehen ge 
kostet hat. Fürst Biömarck hatte die Monarchie der Habsburger donau- 
abwärts gegen Osten als ihre eigentliche Handlungösphäre verwiesen. Herr 
von Bcthmann Hollweg, im Verfolg seiner Friedenspolitik, hat mehr als 
irgend jemand dazu beigetragen, daß dem Staatengebilde um die Donau 
dieser Ausweg von nun ab versperrt ist. Mit der Aufgebung von Novi- 
basar hat sich Österreich-Ungarn den Weg nach Saloniki und damit die 
Möglichkeit, der tonangebende Oricntstaat zu werden, selbst abgeschnitten; 
und dies ist scheinbar unter dem Druck des deutschen Einflusses geschehen. 
Ein britischer Admiral befehligt das internationale Geschwader gegen 
über Montenegro. Von Großbritannien wurde Rußland die Schiedsrichter- 
rolle in den Interessengegensätzen der Balkanverbündeten, Frankreich die * 
* Vgl. S. 407.
	        
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