IV. Motive der Arbeit. Arbeit von Kindern. ; 77
einhalbjähriges Kind, das dem Vater. bei der Arbeit hilft, sei kein
Arbeiter, weil es nicht Bewufstsein und Absicht gehabt habe, dem
Vater zu helfen: „es hat keine Arbeit geleistet, sondern einem Spiel-
trieb Genüge gethan, indem es die Kohlrabi etwa wie Bälle in die
Öffnung zu werfen suchte.“ Es wird nun’ hier nicht in Frage gestellt
oder gar bestritten, dafs mit dieser Entscheidung Arbeiter und Arbeit
im Sinn des Versicherungsgesetzes richtig bestimmt worden Seien.
Ebensowenig beschäftigt uns die Frage, ob ein Kind einen Arbeits-
vertrag‘ eingehen könne, was von einem nicht siebenjährigen Menschen
wegen seiner Geschäftsunfähigkeit (BGB. 8 104) zu verneinen ist.
Wohl aber ist zu sagen, dafs auch die Thätigkeit eines solchen Kindes
den Gegenstand eines Arbeitsvertrags bilden, d.h. Leistung aus solchem,
somit Arbeit sein könne und zwar ohne Rücksicht darauf, dafs das
Kind dabei „einem Spieltrieb Genüge gethan hat“. Einem Spiel-
trieb folgt z. B. auch der Billardspieler, der Klavierspieler, der Schau-
spieler. Gleichwohl kann sein Spiel als menschliche Thätigkeit, die
ein fremdes Bedürfnis befriedigt und irgend wann entgolten wird,
Gegenstand eines Arbeitsvertrags sein und ist als Arbeit zu erachten
(vgl. S. 74). Die subjektiven Empfindungen und Vorstellungen, aus
denen die. Thätizkeit hervorgeht oder von denen sie begleitet wird,
sind für die Annahme von Arbeit als möglichen Okjektes des Arbeits-
vertrags nicht entscheidend, und der Umstand, dals einem Kinde die
Einsicht in die wirtschaftliche Bedeutung seiner Thätigkeit fehlt, ent-
zieht dieser nicht den Charakter von Arbeit, wenn die nämliche
Thätigkeit, von Erwachsenen geübt, als Arbeit anerkannt ist. Eine
solche Einengung des Begriffs würde vor den harten Thatsachen des
Lebens nur schlecht bestehen können, und was jetzt schwere Arbeit,
aber immerhin Arbeit ist, müfste sich überdies mitunter zum grau-
samen Spiel herabsetzen lassen. Jedenfalls hat bisher weder die
Statistik noch die beschreibende Nationalökonomie den Motiven des
beschäftigten Kindes nachgefragt und die Anerkennung seiner Be-
schäftigung als Arbeit von der kindlichen Einsicht in die wirtschaft-
liche Bedeutung seiner Thätigkeit abhängig gemacht. Wir wollen hier
absehen von der massenhaften Verwendung der Kinder in der Land-
und der Forstwirtschaft (z. B. beim Viehhüten, Rübenverziehen, Mai-
käfersammeln) und nur an die „gewerbliche Kinderarbeit“ erinnern,
die aufserhalb der Fabriken stattfindet. Über diese gewerbliche
ı In Fabriken, Bergwerken u. dgl. dürfen nach GewO. 8 135 Kinder
unter 13 Jahren und schulpflichtige Kinder unter 14 Jahren nicht beschäftigt
werden. Dieses Verbot ist allein in Preufsen im Jahre 1899 bei 271 Kindern
übertreten worden. Tabelle 11 der Jahresberichte der preufsischen Gewerbe-