XII. Ungültigkeit der Entgeltzusage. 171
zum Wert der Arbeitsleistung, Nach BGB. 8 138 Abs. 2 ist nichtig
gin Rechtsgeschäft, „durch das jemand unter Ausbeutung der Notlage,
des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit eines Anderen sich oder einem
Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren
läfst, welche den Wert der Leistung dergestalt übersteigen, dafs den
Umständen nach die Vermögensvorteile in auffälligem Milfsverhältnisse
zu der Leistung stehen“. Im Arbeitsvertrag läfst sich der Arbeitgeber,
indem er sich Arbeit versprechen läfst, einen Vermögensvorteil ver-
sprechen (S. 82) für eine von ihm zu machende Leistung. Der Wert
der letzteren braucht nicht so grofs zu sein als der Vermögensvorteil,
den ihm die Arbeit gewährt. Dieser Vorteil kann größer sein, worauf
ja bei der Warenproduktion der legitime Gewinn des Kapitalisten be-
ruht?. Wenn jedoch dieses Übergewicht den vorliegenden Um-
ständen nach ein auffälliges Mifsverhältnis darstellt und
wenn es daher rührt, dafs der Arbeitgeber die Notlage, den Leicht-
sinn oder die Unerfahrenheit des Arbeitnehmers ausbeutet,
so ist der Arbeitsvertrag nichtig. Da die Notlage, der Leichtsinn oder
die Unerfahrenheit des einen Kontrahenten vom andern nicht blofs
benutzt oder mifsbraucht, sondern ausgebeutet werden mulfs, so ist er-
forderlich, dafs der letztere sich jenes Zustandes des ersteren bewufst
sei, ihn bei seiner Übervorteilung in Rechnung ziehe. Hingegen
braucht der Übervorteilte selber nicht dessen bewußt zu sein, dafs
seine Notlage, sein Leichtsinn oder seine Unerfahrenheit vom anderen
ausgebeutet werde®. Der objektive und der subjektive Thatbestand
des 8 138 Abs. 2 ist im Gebiet des Arbeitsvertrags meistens da ge-
geben, wo die Nationalökonomie von Hungerlöhnen spricht *. Diese
1 Soweit der nichtige Arbeitsvertrag vollzogen worden ist, hat die
Herausgabe des danach „ohne rechtlichen Grund“ Erlangten zu erfolgen. Von
seiten des Arbeitgebers besteht sie im Ersatz des Wertes der Arbeit: BGB.
88 812, 818, vgl. 346 („der Wert zu vergüten“).
%® Vgl. Lotmar, Unmoralischer Vertrag S. 93.
3 Vgl. Hölder, Kommentar zum BGB. $ 138 S. 306. 307.
4 S. z. B, Lage des Handwerks II, 294: „Eine lediglich auf Ausbeutung
spekulierende Institution ist in einem gröfseren Betriebe die Beschäftigung
‚lernender‘ Stepperinnen oder Vorrichterinnen; man legt frisch eintretenden
Mädchen diese grundlose Bezeichnung bei, um sie mit 3—5,50 Mk, die Woche
abzuspeisen.“ Blätter f. soz. Praxis v. 24, Mai 1894 S. 182 („Lohnhöhe und
Wuchergesetz“), Kommission f. Arbeiterstatistik, Verhandlungen Nr. 11 S. 55.
Unger, Entscheidungen des Gewerbeger. Nr. 20. Weigert in Soz. Praxis V,
817/18, Frankenstein, Lage der Arbeiterinnen in den deutschen Grofsstädten
(1888) &. 9—19. 27, 28. Hungerlöhne Berliner Heimarbeiterinnen nach dem
statist, Jahrbuch der Stadt Berlin 1900 in Soz. Praxis X, 515. Hirschberg,
Soziale Lage der arbeitenden Klassen in Berlin (1897) S. 232.