Full text: Der Arbeitsvertrag nach dem Privatrecht des Deutschen Reiches (1)

358 II. Abschn. Zahlungszeit. 1. Kap.: Begriff und Bedeutung. 
arbeitern, Heimarbeitern der Konfektion, ist bei Geldbeträgen von 
weniger als hundert Mark und bei einem Verzug von Stunden oder 
wenigen Tagen mit dem Gebot der Verzinsung nicht gedient. Hier 
müßte das Gesetz in anderer Weise helfen‘. AKEinstweilen haben 
organisierte Arbeitnehmer erstrebt und mitunter erreicht, dafs ihnen 
die nach der Fälligkeit ihrer Lohnforderung für die Empfangnahme 
des Lohnes geopferte freie Zeit (Wartezeit) als Überzeit angerechnet, 
d. h. so behandelt werde, als ob sie mit Überarbeit verbracht worden 
wäre ?, 
Noch bedeutungsvoller ist das Warten auf die Entrichtung des 
Lohnes, wo es zu einer Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit führt ®, 
sei es, dafs der Arbeitnehmer sich in der Nähe des Arbeitgebers zu 
halten wünscht, um bälder und sicherer die Vergütung zu empfangen, 
sei es, dals er ohne sie aulser stande ist, den Ort zu wechseln und 
sich anderwärts eine Verdienstgelegenheit zu verschaffen *. 
Wenn der Arbeitnehmer, der die Vergütung in einem späteren 
statt in einem früheren Zeitpunkt empfängt, auch Arbeitgeber ist, so 
kann er oft darum, weil er selbst später empfängt, die Vergütung an 
seine Arbeitnehmer erst später entrichten. Die Zahlungszeit der von 
ihm zu empfangenden Vergütungen wirkt dann nicht blofs (S. 356) 
auf seine Konsumtions-, sondern auch auf seine Produktionswirtschaft 
ein. Und wenn an letzterer eine Mehrheit von Arbeitnehmern be- 
teiligt ist, so erstreckt sich die Wirkung der Zahlungszeit, die nur 
einen Lohnempfänger zu treffen scheint, durch ihn, weil er anderer- 
seits Arbeitgeber ist, möglicherweise noch auf viele Arbeitnehmer, 
1 Auch ohnedies hat das Berliner Gewerbegericht (Vorwärts vom 5, Juli 
1898) einen Arbeitgeber zur Zahlung von Lohn für eine Stunde verurteilt, 
die der Arbeitnehmer dadurch versäumt hatte, dafs er nach Feierabend einen 
Gang machen mufste, um den schuldigen Lohn sich zu holen. 
2 Entscheidung des Tarifausschusses der Buchdrucker in Deutscher Buch- 
druckertarif nebst Kommentar (1899) zu $ 35. Tarifpropositionen der Zimmerer 
in Mannheim (Badische Fabrikinspektion f. 1897 S. 58) und der Bauschlosser 
in Mannheim (Vorwärts vom 11. Mai 1897). 
3 Blätter für soz. Praxis (1898) I, 2 S. 160. 
* Laubünger berichtet in Gewerbegericht IV, 15 aus Stettin, mit 
polnischen Arbeitern, die bei Eisenbahnbauten beschäftigt sind, werde von 
den Unternehmern vereinbart, dafs auch bei plötzlicher Entlassung der Lohn 
erst am Lohntag (der alle 14 Tage eintritt) gezahlt werde. Diese Verein- 
barung „enthält eine erhebliche Härte, da sich der Arbeiter aus diesem Grunde 
oft nutzlos an einem Orte aufhalten mufs und nicht in die Heimat reisen 
kann“. 8. ferner den Bericht des Fabrikinspektors von Oberelsafs in Amtl. 
Mitteilungen aus den Jahresberichten der Gewerbeaufsichtsbeamten für 1898 
S. 152. 
5 Drucksachen der Kommission für Arbeiterstatistik, Verhandlungen
	        
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