IX. Verhältnis z. Beschränkung v. Aufrechnung u. Zurückbehaltung. 449
ausbedingt, macht seinem Interesse nicht blofs die Arbeitskraft, son-
dern auch den Arbeitslohn dienstbar, und für den Arbeitnehmer wird
der verdiente Lohn, statt seine Freiheit zu steigern, durch die Ein-
behaltung zu einer selbstgeschmiedeten Fessel.
Das Dasein des unzulänglichen 8 119% Abs. 1 GewO. zeigt, dafs
in den Augen des Gesetzgebers viele Arbeitnehmer nicht die Kraft
besitzen, ihnen nachteilige Einbehaltungsverträge von sich fern zu
halten*. Und zahlreiche Vorkommnisse des Lebens zeigen, dafs die
Tendenz, welcher $ 1192 entspringt, eine Ausdehnung seines That-
bestandes und eine Verstärkung seiner Sanktion verlangt.
IX. Dringender als die soeben berührte politische ist für uns
die juristische Frage, wie sich die Ausbedingung der totalen oder
partiellen Einbehaltung einer Vergütung behufs Sicherung des Arbeit-
gebers zu der weitgehenden Beschränkung verhält, welche Aufrechnung
und Zurückbehaltung durch BGB. 8 394 teils unmittelbar, teils
analogisch erfahren haben (S. 411 fg. 430 fg.).
Die Ausbedingung dieser Kinbehaltung ist nach deren Begriff
Ausbedingung einer Vertagung der Zahlung oder eines Aufschubs der
Zahlungszeit. Aber mit diesem Provisorium, das als solches einmal
endigt, ist der Arbeitgeber noch nicht gesichert für Erlangung von
Schadensersatz oder einer verabredeten Vertragsbruchstrafe, Die Ein-
behaltung zur Sicherung mufs also dem Arbeitgeber mehr gewähren
als Stundung, wenn sie ihm jene Sicherheit gewähren soll. Die ein-
fache Einbehaltung ist hier in der That nur als ein Glied in einem
Verfahren gemeint, das mehr umfafst. Man hat gesagt, es handle
sich „um eine vertragsmäfsige Sicherheitsleistung des Arbeiters, die
dieser dem Arbeitgeber mit einem Teile seines Lohnes, also mit einer
Barsumme, ‚in der Weise bestellt, dafs die Sicherheit bei dem Arbeit-
geber hinterlegt wird (vgl. $ 232 BGB.)“?. Allein gemäfßs der Ein-
behaltung empfängt der Arbeitnehmer das Einbehaltene nicht und
kann es daher auch nicht hinterlegen. Das vom Arbeitgeber ein-
behaltene Geld kann dem Arbeitgeber keine Sicherheit gewähren, da
es sein eigenes Geld ist. Es nützt auch nichts, es als fremdes Geld
zu betrachten, da durch solche Betrachtung die Wirklichkeit nicht.
1 Daher kollektive Opposition, nämlich Tarifvertragsproposition und Aus-
stand z. B. der Holzarbeiter in Karlsruhe: „Wöchentliche Lohnzahlung ohne
Abzug einer Kaution“: Bericht der badischen Fabrikinspektion f. 1897 S. 56.
Malzfabrikarbeiter in Niendorf: Vorwärts vom 22. Nov. 1898.
2? Neukamp in Verwaltungsarchiv V, 226, vgl. v. Schicker, Die GewO.
f. d. deutsche Reich (4. Aufl, 1901) zu 8 119a: „Ansammlung einer Kaution.“
Lotmar, Arbeitsvertrag. I. 99