I. Begriff. II. Vergleich mit Aufrechnung, Zurück- u. Einbehaltung. 453
nicht die Rede sein könnte. Da aber der Arbeitnehmer mit seiner
Arbeitsleistung vorangehen mufßs und erst dadurch eine klagbare
Lohnforderung erhält, so kann ihm der Nachteil zugefügt werden,
dafs er ohne Entgelt oder nicht für den vollen vertragsmäfsigen
Entgelt gearbeitet hat, indem man ihm die Lohnforderung vor oder
nach ihrer Fälligkeit gänzlich oder teilweise abspricht, sie total oder
partiell vernichtet werden läßt.
Betrachtet man um des eben erwähnten Nachteils willen die
Verwirkung als Strafe, als Privatbufse, so tritt die Bedeutung, welche
die Postnumeration für die Verwirkung hat, auch darin hervor, dafs
andere Privatbuflsen sehr wohl auch bei Pränumeration bestehen
können. Denn sowohl die gesetzliche Bulse, welche GewO. 8 124»
und $ 133° wegen Kontraktbruchs des Arbeitnehmers zuläfst!, als die
zahlreichen Bufßfen, die durch Arbeitsvertrag, Haus-, Werkstatt- oder
Fabrikordnung auf mannigfaltige Übertretungen der Arbeitnehmer
gesetzt sind, haben keinen Zusammenhang mit der Vorleistungspflicht
des Arbeitnehmers, können ebensowohl Platz greifen, wenn der Arbeit-
geber mit der Entrichtung der Vergütung vorangeht.
JI. Die Verwirkung, mit Aufrechnung, Zurückbehaltung und
Einbehaltung darin einig, daß sie Postnumeration der Vergütung
voraussetzt, unterscheidet sich von den zwei ersten dadurch, dafs sie
keines Gegenanspruchs bedarf, von einem solchen nicht abhängig ist.
Um gegen die Lohnforderung aufzurechnen, mulfs der Arbeitgeber eine
Gegenforderung haben; die geschuldete Lohnzahlung dilatorisch ver-
weigern (im Sinn der Zurückbehaltung) kann der Arbeitgeber nur,
wenn er einen fälligen Gegenanspruch hat. Auch die Einbehaltung,
wenn wir uns auf die schon erörterte Art, die Einbehaltung zur
Sicherung beschränken, kann ausbedungen und ausgeübt werden
nur wegen künftiger Ansprüche des Arbeitgebers. Dagegen die Ver-
wirkung tritt ein, ohne dafs der Arbeitgeber jetzt einen Anspruch
haben, und ohne daß ihm eine Forderung in Aussicht stehen müfßste.
Die Verwirkung tritt vielmehr ein, weil sich ihre Bedingung erfüllt
hat, weil ihre faktischen Voraussetzungen gegeben sind, unter denen
sich eine Forderung des Arbeitgebers nicht zu befinden braucht.
Die (geschehene) Verwirkung braucht dem Arbeitgeber nicht den
Dienst der ökonomischen Befriedigung oder Deckung zu leisten, wie
die Aufrechnung, und sie kann nicht wie Zurückbehaltung und Ein-
i Man darf sie als Bufse darum bezeichnen, weil sie, nicht an den Nach-
weis eines Schadens gebunden, einen solchen wohl auch nicht voraussetzt.
Neukamp. Die Gewerbeordnung, zu 8 124b Anm. 4.