IV. Gelderwerbsgelegenheit: Verlagsvertrag, Trinkgelderwerb. 703
nicht durch Abschlufßs von Kontrakten seitens des Arbeitnehmers reali-
siert wird, und ein Einfluß des Arbeitgebers auf ihre Realisierung nicht
nur nicht ausgeschlossen ist, sondern sogar durch den Arbeitsvertrag ge-
regelt sein kann, so stellt sie der juristischen Betrachtung neue Aufgaben.
Der Umstand, dafs die Einräumung der Erwerbsgelegenheit, wo
es sich um Erwerb von Trinkgeld handelt, den Arbeitgeber nichts
kostet, ihm nicht einmal einen Verzicht auf Einnahme zumutet, ist
kein Grund, jener Einräumung den Charakter der Vergütung ab-
zusprechen. Denn die Vergütung mul zwar Zuwendung eines Ver-
mögensvorteils an den Arbeitnehmer sein (S. 153), sie braucht aber
nicht einen Vermögensaufwand des Arbeitgebers zu bilden !.
Der in Rede stehende Fall findet sich am häufigsten im Gast-
wirtsgewerbe, aufserdem oftmals im Betrieb von Bäckereien *, Barbier-
und Friseurwerkstätten, Badeanstalten und Fuhrhaltereien®. In den
Arbeitsverträgen der Gastwirtsgehülfen erscheint die Gelegenheit zum
Trinkgelderwerb als Naturalvergütung bald neben Geld- und anderer
Naturalvergütung, bald nur neben Gehalt (Geld), bald nur neben anderer
Naturalvergütung, bald endlich als alleinige Vergütung. Der Umfang
des Vorkommens dieser Naturalvergütung in den gedachten Arbeits-
verhältnissen ist aus der 1893 durch die Kommission für. Arbeiter-
statistik veranlafsten „Erhebung über die Arbeits- und Gehaltsverhält-
nisse der Kellner und Kellnerinnen“ auch nur für diese „Hülfspersonen“
nicht ersichtlich (Drucksachen, Erhebungen Nr. 6). Indessen erfahren
wir aus dem zweiten Teil der Erhebung (Drucksachen, Erhebungen
Nr. 9 S. 34), daß die den Wirte- und Kellnervereinen gestellte Frage,
„ob die Mehrzahl der Kellner, Oberkellner und Kellnerinnen . .. mit
den ihnen seitens des Prinzipals gewährten Einkommensbezügen ihren
bezw. ihren und ihrer Familie Unterhalt bestreiten kann“, durch 19
von 27 Wirtevereinen und von allen 21 Kellnervereinen verneint
wurde. mit dem Zusatz, „dafs das Personal auf die Trinkgelder an-
ı Wo die Vergütung nur in Arbeit besteht, z. B. Lehrthätigkeit, wird
ja ebenfalls kein Vermögensaufwand gemacht (8. 82).
* Hirschberg, Soc. Lage der arbeitenden Klassen in Berlin 8. 253.
ı Zu Gunsten der Arbeitnehmer wird von deren Arbeitgeber der Bade-
wie der Fahrgast nicht selten auf die Entrichtung des Trinkgeldes hingewiesen,
was daher rührt, dals die fragliche Erwerbsgelegenheit einen grofsen Teil der
vom Arbeitgeber gewährten Vergütung bildet. Wo dagegen der Fuhrherr
dem Kutscher ein Trinkgeld vom Fahrgast ausbedingt (S. 1691), gewährt er
seinem Arbeitnehmer nicht mehr blofs eine Erwerbsgelegenheit. Die Aus-
bedingung. begründet einen Rechtsanspruch (auch für den Kutscher: BGB.
$ 328), wodurch auch der Trinkgeldbegriff ausgeschlossen wird: Ihering,
Das Trinkgeld S. 12.