II. Qualitative Unbestimmtheit.
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har auszubezahlen“ (S. 677 fg.). Hingegen über die Beschaffenheit
der Naturalvergütung, über die dabei einzuhaltende Qualität spricht
sich die GewO. mit keinem Worte aus.
Was BGB. $ 618 und HGB. $8 62. 76 an Pflichten des Arbeit-
gebers hinsichtlich des Wohn- und des Schlafraums und der Ver-
pflegung statuieren, die der Arbeitgeber dem in die häusliche Gemein-
schaft aufgenommenen Arbeitnehmer zu gewähren hat, bezieht sich,
wie wir in Kap. 1 gesehen haben, zwar einerseits nicht bloß auf
Naturalvergütung, aber andererseits nur auf den in die häusliche
Gemeinschaft aufgenommenen Arbeitnehmer. Die Qualität z. B. der
Kost, die der Prinzipal dem Handlungsgehülfen in einem dem Ge-
schäftsraum benachbarten Gastlokale reicht, wird vom HGB. nicht
berührt. Und soweit BGB. und HGB. die Qualität der Natural-
vergütung regeln, die dem in die Hausgemeinschaft aufgenommenen
Arbeitnehmer gewährt wird, hält sich diese Regelung in solcher All-
gemeinheit, dafs ein weiter Spielraum übrig bleibt. Wenn nur bei
Gewährung von Kost und Logis die Einrichtungen und Anordnungen
getroffen sind, „welche mit Rücksicht auf die Gesundheit, die Sittlich-
keit und die Religion des Verpflichteten erforderlich sind“, so ist den
Ansprüchen der beiden Gesetzbücher genügt. Es bedarf aber keines
Beweises, dafs der Arbeitgeber diese so allgemein definierten Pflichten
erfüllen und dabei den Arbeitnehmer menschenunwürdig behausen
und beköstigen kann !. Dies wäre nur dann zu negieren, wenn mit
„Sittlichkeit“ die ganze Moral, durch welche die Achtung der Menschen-
würde überhaupt gefordert wird, und nicht blofs die sexuelle gemeint
wäre. Daß aber untermenschliche Naturalvergütung von ungezählten
Arbeitnehmern, besonders weiblichen, lautlos ertragen wird, rührt von
der Bedürfnislosigkeit und Leidensfähigkeit her, zu der die in einer
Notlage Gebornen durch das Geschick erzogen werden ?.
Es wäre darum verfehlt, die Qualität der Naturalvergütung nach
der Beschaffenheit der Lebensmittel rechtlich zu bestimmen, mit
welcher der Arbeitnehmer vorlieb nimmt, sobald er sie aus der Geld-
t
i Es braucht noch nicht die Gesundheit des Arbeitnehmers zu leiden,
wenn ihm kein besonderes Bett gewährt wird, sondern eines, das er mit
einem Fremden räumlich oder zeitlich teilen mufs, oder wenn er statt für
ihn zubereiteter Nahrung ein Gemenge der Überbleibsel fremder Mahlzeiten
erhält. Ein Recht, das die Qualität der vom Arbeitgeber zu machenden
Naturalleistungen nur so bestimmt, dafs die von ihm als höchste betrachteten
Güter keinen nachweisliechen Schaden nehmen, giebt damit keine positive
Qualitätsbestimmung.
? Vgl. Bebel, Zur Lage der Arbeiter in den Bäckereien (1898) S. 19.
Lotmar., Arbeitsvertrag. I.