746 V.Abschn. Naturalvergütung. 7.Kap.: Vergleichung v.Geld-u. Naturalverg.
lichen Arbeiterbewegung, dafs die Forderung der „Abschaffung von Kost
und Logis beim Meister“ erhoben und in die Proposition von Tarifver-
trägen aufgenommen wird *, Zwar werden, wo davon berichtet wird, die
Motive der Petenten gewöhnlich nicht mitgeteilt, und es könnte daher
hin und wieder nur die Beschaffenheit der Vergütung im gegebenen
Fall die prinzipielle Forderung hervorgerufen haben. Allein es fehlt
nicht an Anzeichen, daß in erster Linie nicht die Verbesserung von
Nahrung und Wohnung erstrebt wird — ein Ziel, dessen Erreichung
nicht immer sicher — sondern die Erweiterung der Selbständigkeit?;
hierzu gehören auch Ehestand und eigenes Familienleben, welche bei
Hausgemeinschaft mit dem Arbeitgeber in der Regel thatsächlich aus-
geschlossen sind®. Denn die Selbständigkeit, soweit sie mit dem
durch den Arbeitsvertrag begründeten Rechtsverhältnis bestehen kann,
ist in den Augen der Arbeiter ein Gut, für das sie oft materielle
Vorteile dahingeben*. Ohne diese Voraussetzung sind manche von
ihren privatrechtlichen Postuläten gar nicht verständlich.
Die angegebene Auffassung der Parteien wird von neutralen
Beobachtern geteilt. „Immer ist (so äufsert einer), auch in der bäuer-
lichen Verfassung, das Wohnen unter fremdem Dach (d. h. hier unter
dem des Arbeitgebers) Grundlage der wirtschaftlichen Unselbständig-
keit“®, Wenn von der badischen Fabrikinspektion (für 1896 S. 88)
berichtet wird, es sei bei einer Lohnbewegung seitens der Arbeiter-
organisation ganz besonders auf Durchführung der Verköstigung und
1 Aufnahme in Tarifverträge z. B. der Berliner Bäcker: Sociale Praxis
IX, 986, der Buchbinder in Altenburg: Der deutsche Buchbinderverband im
Jahre 1900 S. 37/88.
* Vgl. Lage der deutschen Holzarbeiter (1899) .S. 25. Cit. Verhandlungen
Nr. 16 S. 81. 82. 87. Trefz, Wirtsgewerbe 8. 218.
* Soc. Praxis IX, 984. Der Arbeitsmarkt IV, 330/40. — Dafs der Hand-
werksgeselle regelmäfsig nicht verheiratet sein, keinen eigenen Rauch führen
und nach Gesetz und Sitte nicht in den für den Fremden bestimmten Wirts-
häusern leben durfte, ist ja der historische Grund seiner Aufnahme in die
Hausgemeinschaft des Meisters: Stahl, Das deutsche Handwerk S. 274. 277,
* Statt vieler anderen stehe hier das Zeugnis eines Landgeistlichen,
„dafs ein freier Arbeiter sich fast nie dazu versteht, Gutstagelöhner zu
werden, weil die Freiheit ihm lieber ist, als eine bessere Existenz“; Land-
arbeiter in den evang. Gebieten II, 110.
* Weber in Verhältnisse der Landarbeiter III, 38. Derselbe in Brauns
Archiv VIL, 19: „Die Arbeiter suchen den Geldlohn, weil er sie am meisten
von der Abhängigkeit von der Wirtschaft und dem guten Willen des Herrn
befreit, trotzdem sie sich dabei wirtschaftlich schlechter stehen.“ Arnold
a. a. O0. 8. 71. Cohen in. Soc. Praxis VIIJ, 782. Württembergische Fabrik-
inspektion f. 1898 S. 45. 152. Adler, Lage der Handlungsgehülfen S. 38. 84.
40. 60 („Hausgewalt“).