Sechster Abschnitt.
Tarifvertrag.
Erstes Kapitel.
Thatbestand.
{. Der Tarifvertrag, dessen im Vorausgehenden mehrmals gedacht
wurde, ist darin einzig in seiner Art, dafs er nicht von zwei einzelnen
Personen, also einstelligen Parteien geschlossen werden kann; min-
destens die eine Partei mufßs aus einer Mehrheit bestehen, und sehr
häufig trifft dies von beiden Parteien zu. Deutet diese numerische Er-
scheinung auf die zutreffende Thatsache, dafs mit dem Tarifvertrag
die Wahrung von Mehrheitsinteressen erstrebt wird, und sucht man
nach einem wenigstens hierin gleichartigen Vertrag, so läfst sich ge-
wils an den Gesellschaftsvertrag denken, welcher in dem „gemein-
samen Zweck“ doch auch nicht blofs individuelle Interessen seiner
Urheber verfolgt. Aber von diesem wie wieder von allen anderen
Verträgen hebt sich der Tarifvertrag juristisch dadurch ab, dafs weder
bei seiner Abschliefsung von einem Teilnehmer eine materielle Leistung
gemacht wird noch auf Grund seines Abschlusses eine solche Leistung
gemacht werden soll. Der Tarifvertrag ist zwar auf die Zukunft,
nämlich die Zeit nach seinem Abschlufs, aber auf keine dann zu
machende positive Leistung gerichtet. Sein Ziel ist nur die Regelung
künftiger Kontrahierung; es wird heute kontrahiert, auf dafs morgen
in gewisser Weise kontrahiert werde. Es wird der Inhalt künftiger
Kontrakte im voraus festgestellt und damit die Vertragsfreiheit nicht
nach dem Ob, sondern nach dem Wie der Kontrahierung beschränkt.
Der Tarifvertrag beeinflulst hierdurch den Inhalt künftiger Verträge,
und er thut dies, was seinen Einfluß vergröfsert, für individuell un-
bestimmte Paciscenten. Er ist so gestaltet, dals, was er leistet, nicht
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