Full text: Der Arbeitsvertrag nach dem Privatrecht des Deutschen Reiches (1)

768 VI. Abschn. Tarifvertrag. 1. Kap.: Thatbestand. 
werden, welche ihm in einer oder der anderen Hinsicht ähnlich sind, 
sich aber so weit von ihm abheben, dafs seine Eigenartigkeit deutlich 
hervortritt. Erweist er sich hierdurch dem Thatbestand nach als con- 
tractus sui generis, so ist es nur natürlich, dafs einem solchen Vertrage 
auch eine eigenartige Rechtswirkung zukommt. 
Der Tarifvertrag ist vor allen kein Arbeitsvertrag. Er ist 
vielmehr zur Beherrschung von Arbeitsverträgen und zur inhaltlichen 
Ausstattung solcher bestimmt. Worin das. Wesen des Arbeitsvertrags 
gelegen ist, haben wir in Abschn. I Kap. 1—6 gesehen. Der Arbeits- 
trag besteht aus einer Zusage von Arbeit und einer Zusage von Ent- 
gelt, Zusagen, welche die Paciscenten einander machen. Im Tarif- 
vertrag versprechen die Paciscenten einander weder Arbeit noch Ver- 
gütung; sie setzen gemeinsam fest, dafs, wenn es künftig zum Abschlufs 
von Arbeitsverträgen kommt, diese Arbeitsverträge den im Tarifvertrag 
vereinbarten Inhalt haben, z. B. die Vergütung von gewissem Betrage, 
die Arbeitszeit von gewissem Umfang, die Kündigung von sofortiger 
Wirkung sein werde. Wohl kann, wenn zur Zeit der Eingehung des 
Tarifvertrags auf der Arbeitnehmerseite ausständige Arbeitnehmer 
sind, im Tarifvertrag auch ausbedungen werden, dafs diese die Arbeit 
wieder aufnehmen, somit Leistung von Arbeit versprochen werden: 
allein eine solche transitorische Bestimmung gehört, wie wir gesehen 
haben, nicht zum Wesen des Tarıfvertrags. Umgekehrt kann der 
Tarifvertrag Bestimmungen enthalten, die in einem Arbeitsvertrag 
nicht Platz finden können (S, 763 al.). Ist der Tarifvertrag mit derlei 
Bestimmungen versehen, so ist er auch durch solchen Inhalt vom 
Arbeitsvertrag verschieden. Bleiben wir jedoch nur beim wesentlichen 
Inhalt beider Verträge stehen, so muß sich ihre Verschiedenheit an 
den Folgen zeigen. Der Arbeitsvertrag wird durch Leistung von 
Arbeit und Vergütung vollzogen; zu jener wird der Arbeitnehmer, zu 
dieser der Arbeitgeber verbunden. Dagegen durch den Tarifvertrag 
für sich wird weder ein Arbeitnehmer zur Arbeit noch ein Arbeit- 
geber zur Vergütung verpflichtet; vielmehr mufs die Zusage beider 
Leistungen erteilt, d. h. auch noch ein Arbeitsvertrag abgeschlossen 
worden sein, Der Vollzug eines Tarifvertrags besteht nicht in Leistung 
von Arbeit und Vergütung, sondern darin, dafs Arbeitsverträge aus- 
schliefslich mit tarifgemälsem Inhalt eingegangen werden. Der Tarif- 
vertrag, der mit einer Mehrheit koalierter Arbeitnehmer geschlossen 
wird, ist, wie wir sahen, ein Vertrag, eine einzige Norm. Wird 
dagegen von mehreren Arbeitnehmern Arbeit gegen Entgelt versprochen 
und wäre es auch dem nämlichen Arbeitgeber, so kommen ebenso 
viele Arbeitsverträge zu stande, als es Arbeitnehmer sind; sie können
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.