Full text: Der Arbeitsvertrag nach dem Privatrecht des Deutschen Reiches (1)

776 VI. Abschn. Tarifvertrag. 2. Kap.: Rechtswirkung. 
nicht unter die tariflichen Bedingungen herabgehen müssen, um den 
Abschluls eines Arbeitsvertrags zu erreichen. Er soll in den tariflichen 
diejenigen von Seinesgleichen festgesetzten Bedingungen erblicken 
können, bei denen er weder unterbietet, noch unterboten zu werden 
fürchten muß. Folgeweise drängt die Unterbindung der Konkurrenz 
der Arbeitnehmer den Arbeitgeber zur Bewilligung besserer Bedingungen, 
wie die Unterbindung der Konkurrenz der Arbeitgeber ihm diese 
Bewilligung erleichtert. 
Drittens beabsichtigen die Urheber des Tarifvertrags den Arbeits- 
verhältnissen eine gewisse Stetigkeit zu verleihen. Sie sollen wo- 
möglich den auf ihre Änderung zielenden wirtschaftlichen Motiven 
entrückt werden, welche den Schwankungen der Märkte entspringen. 
Aus der Konjunktur des Einkaufs- ! oder des Absatz- oder des Arbeits- 
marktes oder dem Steigen der Unterhaltskosten können sich Gründe 
ergeben, den Änderungen des Angebotes oder der Nachfrage einen 
Einflufs auf die Arbeitsverhältnisse einzuräumen, sowohl in Hinsicht 
auf die Löhne (wohin z. B. auch stärkere Heranziehung von Lehr- 
lingen und Frauen gehört), als auf die Arbeitszeit und manche andere 
in Tarifverträgen geregelte, für die Arbeitsverhältnisse bedeutungsvolle 
Bestimmungen. Natürlich sollen diese Einflüsse nicht überhaupt aus- 
geschaltet, sondern sie sollen nur während der Geltung des Tarif- 
vertrags von den Arbeitsverträgen möglichst ferne gehalten werden ?, 
Sind nun die unter 1—3 dargelegten die faktischen Wirkungen, 
weiche von den Urhebern eines Tarifvertrags mit demselben erstrebt 
werden, so ist ad 1 zu sagen, daß die Kontrahenten einander ver- 
sprechen, die Arbeitsverträge als zu den Bedingungen des Tarifvertrags 
abgeschlossen auch dann gelten zu lassen, wenn bei der Schliefsung 
des Arbeitsvertrags die im Tarifvertrag getroffenen Bestimmungen 
nicht verlautbart worden sind. Die dem Tarifvertrag hiermit zu- 
gedachte Rechtswirkung ist danach die, ergänzend zu sein 
für die Arbeitsverträge. Und nach den sub 2 und 3 angegebenen 
Intentionen versprechen im Tarifvertrag die Kontrahenten einander, 
Arbeitsverträge nur zu den im Tarifvertrag vereinbarten Bedingungen 
abzuschließen. Die dem Tarifvertrag hiermit zugedachte Rechts- 
1 Einkauf der Roh- und Hülfsstoffe, der Arbeitsmittel, z. B. der Maschinen. 
? z. B. beschliefst die Gauvorsteherkonferenz des Deutschen Buchdrucker- 
verbandes am 13. und 14, Oktober 1900 zu Berlin, „in Berücksichtigung der 
Steigerung der Lebensmittel- und Wohnungspreise ... dafs bei der nächst- 
jährigen Tarifverhandlung in der Hauptsache Anträge auf Erhöhung des 
Gewifsgeldes bezw. der Grundposition gestellt werden“. Rechenschaftsberichte 
des genannten Verbandes f. 1900 8. 8.
	        
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