Jill. Ergänzende Rechtswirkung in doppelter Hinsicht. 779
hat sich gezeigt, dafs die Parteien den Tarifvertrag schliefsen als
einen, der für ihre Arbeitsverträge ergänzend und malsgebend
sein soll. Und in dieser zwiefachen Weise wird er vom Recht mit
Wirkung ausgestattet. Das Recht hat nur vorauszusetzen, dafs einer
der Arbeitsverträge geschlossen worden sei, für welche der Tarif-
vertrag ergänzend und mafsgebend sein soll — eine Voraussetzung,
die ja auch für andere generelle Regelungen, wie Gesetz, Arbeits-
ordnung, einseitiger Tarif, zu machen ist. Ist ein solcher Arbeits-
vertrag geschlossen worden, dann erweist sich zunächst die ergänzende
Kraft des Tarifvertrags in den zwei folgenden Hinsichten:
1. Die Parteien des Arbeitsvertrags bedürfen keiner auf den
Inhalt des Tarifvertrags gerichteten Willenserklärung, damit dieser
Inhalt in ihren Arbeitsvertrag eingehe, damit überhaupt ihr Arbeits-
verhältnis dem wesentlichen Inhalt des Tarifvertrags angepalst sei.
Wenn daher die Parteien den Arbeitsvertrag schließsen, ohne irgend
etwas über die Höhe der Vergütung zu vereinbaren, so mufs als Zeit-
oder als Akkordlohn, als Lohn für Arbeit in der Normalzeit oder in
der Überzeit das als ausgemacht gelten, was im Tarifvertrag fest-
gesetzt ist. Dasselbe gilt z. B. auch von der Arbeitszeit, ihrer Länge
und Lage, von den Voraussetzungen, unter denen es zu Über- oder
Unterzeit kommt u. s. w. Eine Willenserklärung über diese vom
Tarifvertrag geregelten Punkte ist in dem Mails überflüssig für den
Eintritt der tarifvertraglichen Regelung, dafs dem Vorhandensein eines
entsprechenden Willens bei Arbeitgeber und Arbeitnehmer gar nicht
nachgefragt zu werden braucht. Namentlich die Lohnregeln greifen
hier ohnedies gerade so Platz, wie die von einer öffentlichen Autorität
aufgestellten Taxen (S. 134). Ein auf den Inhalt des Tarifvertrags
gerichteter Wille ist nur bei solchen Kontrahenten des Arbeitsvertrags
erforderlich, die nicht schon vor Eingehung desselben dem Tarifvertrag
unterworfen sind (Kap. 3 Nr. IV), sich erst mittelst dieses Arbeits-
vertrags dem Tarifvertrag unterwerfen wollen.
2. Insofern der Arbeitsvertrag durch dispositives Recht geregelt
ist, welches vor der Privatdisposition zurücktritt, erweist sich der
Tarifvertrag als rechtliche Ergänzung des Arbeitsvertrags darin, dafs
das dispositive Recht auch dann nicht Platz greift, wenn im Arbeits-
vertrag nichts Abweichendes vereinbart worden ist. So ist durch GewO.
8 122 Kündigung mit vierzehntägiger Frist vorgesehen, „wenn nicht
ein Anderes verabredet ist“. Falls nun im Arbeitsvertrag nichts
anderes verabredet worden ist, wohl aber der Tarifvertrag eine andere
Fristbestimmung oder Entfristung vorschreibt, so teilt sich diese Vor-
schrift dem Arbeitsvertrag ohne weiteres mit. so dafs für denselben