Full text: Der Arbeitsvertrag nach dem Privatrecht des Deutschen Reiches (1)

[V. Mafsgebende RW., durchgreifend gegenüber individueller Abweichung. 781 
reicht, keinen Raum, so dafs nicht erst noch ihre Gültigkeit zu 
prüfen ist. 
Diese durchgreifende Rechtswirkung des Tarifvertrags steht 
nicht in Widerspruch mit einem anerkannten Rechtsprinzip?, sie ist 
ferner, obwohl der Tarifvertrag ein Kontrakt eigener Art, nicht ohne 
Seitenstück, und sie deckt sich endlich so vollständig mit dem That- 
bestand und seiner socialpolitischen Aufgabe, dafs man die Verneinung 
jener Rechtswirkung als Preisgabe des Prinzips kollektiver Vertrag- 
schliefsung bezeichnen müfste, 
Die Unabdingbarkeit des Tarifvertrags, soweit er nicht selber 
dem Arbeitsvertrag Spielraum läfst®, verstöfst zuvörderst nicht gegen 
den Grundsatz, daß jeder von einem selbstgegebenen Gesetz zurück- 
treten kann*. Denn erstens ist dieser Grundsatz nicht heilig und 
unverletzlich. Er bildet nur eine Regel, die, wie andere, Ausnahmen 
hat. Sonst könnte es nicht einseitige Rechtsgeschäfte geben, welche 
unwiderruflich sind, und könnte nicht von bindendem Verzicht auf 
den Widerruf einer Vollmacht die Rede sein®. Nach BGB. 8 137 
kann die Befugnis zur Verfügung über ein veräufßerliches Recht nicht 
ı Was im Folgenden vom abweichenden Arbeitsvertrag gesagt ist, gilt 
auch von einem abweichenden Tarifvertrag, den ein Arbeitgeber, sich von 
einem durch ihn samt anderen Arbeitgebern geschlossenen Tarifvertrag los- 
zagend, mit seinen Arbeitnehmern eingeht. Dieses Separatabkommen führt 
nämlich zu Arbeitsverträgen, welche dem allgemeinen Tarifvertrag wider- 
sprechen, 
2 auch nicht mit der allgemeinen Vorschrift des $ 105 GewO.: „Die 
Festsetzung der Verhältnisse zwischen den selbständigen Gewerbetreibenden 
und den gewerblichen Arbeitern ist, vorbehaltlich der durch Reichsgesetz 
begründeten Beschränkungen, Gegenstand freier Übereinkunft.“ Hierdurch 
werden nicht Beschränkungen der Vertragsfreiheit ausgeschlossen, die selbst 
auf Übereinkunft beruhen. 
8 z, B. indem er nur ein Minimum oder nur ein Maximum aufstellt und 
damit die Vergröfserung oder die Verkleinerung zuläfst (z. B. Buchdrucker- 
tarif 8 32: „Das Minimum des gewissen Geldes beträgt ...“. „Für freie 
Station ... kann bis 10,50 Mk. pro Woche in Abzug gebracht werden“), 
indem er Ausnahmen vorbehält (z. B. Malertarif für Mainz [1900]: „Sollte ein 
Geselle durch absolut geringe Arbeit den Mindestlohn von 40 Pf. nicht er- 
reichen können, so steht es dem Meister frei, denselben nach der Leistung 
zu entlohnen“), indem er selber auf Separatabkommen verweist (z. B. Buch- 
Aruckertarif $ 31: „Die Mittagspause soll zwischen dem betr. Prinzipal und 
seinen Gehülfen vereinbart werden“). 
4 Nemo eam sibi potest legem dicere, ut a priore ei recedere non liceat: 
22 p. D. 32. 
5 Hupka, Die Vollmacht S. 392—412, andererseits Schlofsmann, 
Stellvertretung II, 598—621; dafs dieser Verzicht unmoralisch sei, ist nicht 
ohne weiteres einleuchtend.
	        
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