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Diese Schlußfolgerung beruht bei Marx auf der Analyse der Rolle,
die das Proletariat in der modernen kapitalistischen Gesellschaft
spielt, auf den Tatsachen der Entwicklung dieser Gesellschaft und
derünversöhnlichkeit der einander entgegengesetzten Interessen des
Proletariats und der Bourgeoisie.
Früher wurde die Frage so gestellt: das Proletariat muß, um seine
Befreiung zu erlangen, die Bourgeoisie stürzen, die politische Macht
erobern und seine revolutionäre Diktatur errichten.
Jetzt wird die Frage etwas anders gestellt: der Übergang von der
kapitalistischen Gesellschaft, die sich zum Kommunismus hin ent
wickelt, zur kommunistischen Gesellschaft ist unmöglich ohne eine
,.politische Übergangsperiode", und der Staat dieser Periode kann
nur die revolutionäre Diktatur des Proletariats sein.
In welchem Verhältnis steht nun diese Diktatur zur Demokratie?
Wir haben gesehen, daß das ,.Kommunistische Manifest" einfach
zwei Begriffe: „Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse"
und „Erkämpfung der Demokratie" nebeneinander stellt. Auf Grund
alles oben Gesagten läßt sich genauer bestimmen, wie sich die Demo
kratie beim Übergang vom Kapitalismus zum Kommunismus ver
ändert.
In der kapitalistischen Gesellschaft, ihre günstigste Entwicklung
vorausgesetzt, haben wir einen mehr oder weniger vollständigen
Demokratismus in der demokratischen Republik. Dieser Demokratis
mus ist jedoch durch den engen Rahmen der kapitalistischen Aus
beutung stets eingeengt und bleibt daher im Grunde genommen
stets eine Demokratie für die Minderheit, nur für die besitzenden
Klassen, nur für die Reichen. Die Freiheit der kapitalistischen Ge
sellschaft bleibt immer ungefähr die gleiche, die sie in den antiken
griechischen Republiken war: Freiheit für die Sklavenhalter. Die
modernen Lohnsklaven bleiben infolge der Bedingungen der kapita
listischen Ausbeutung so von Not und Elend bedrückt, daß sie
„andere Sorgen haben" als Demokratie und Politik, daß bei dem
gewöhnlichen, friedlichen Gang der Ereignisse die Mehrheit der
Bevölkerung von der Teilnahme am öffentlichen und politischen
Leben ausgeschlossen ist.
Die Richtigkeit dieser Behauptung wird vielleicht am anschau
lichsten durch Deutschland bestätigt, da gerade in diesem Staat die
verfassungsmäßige Legalität sich erstaunlich lange und stabil,
nahezu ein halbes Jahrhundert (1871—1914), behauptet hat, während