Full text: Kritik des Gothaer Programms

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lugen — ihnen an politischer Schlauheit -ebensowenig gewachsen 
sind; die „Ehrlichen" sind einmal wieder von den Nichtehrlichen 
grausam über den Löffel barbiert. 
Zuerst nimmt man die großtönende, aber historisch falsche Las 
sallesche Phrase an: gegenüber der Arbeiterklasse seien alle anderen 
Klassen nur eine reaktionäre Masse. Dieser Satz ist nur in einzelnen 
Ausnahmefällen wahr, zum Beispiel in einer Revolution des Prole 
tariats, wie die Kommune, oder in einem Land, wo nicht nur die 
Bourgeoisie Staat und Gesellschaft nach ihrem Bilde gestaltet hat, 
sondern auch schon nach ihr das demokratische Kleinbürgertum diese 
Umbildung bis auf ihre letzten Konsequenzen durchgeführt hat. Wenn 
zum Beispiel in Deutschland das demokratische Kleinbürgertum zu 
dieser reaktionären Masse gehörte, wie konnte da die sozialdemo 
kratische Arbeiterpartei jahrelang mit ihm, mit der Volkspartei Hand 
in Hand gehen? Wie kann der „Volksstaat'' 1 fast seinen ganzen poli 
tischen Inhalt aus der kleinbürgerlich-demokratischen „Frankfurter 
Zeitung" 1 2 nehmen? Und wie kann man nicht weniger als sieben For 
derungen in dies selbe Programm aufnehmen, die direkt und wört 
lich übereinstimmen mit'dem Programm der Volkspartei und klein 
bürgerlichen Demokratie? Ich meine, die sieben politischen Forde 
rungen 1 bis 5 und 1 bis 2, von denen keine einzige, die nicht bürger 
lich-demokratisch 3 . 
1 Der „Volksstaat“ war das Zentralorgan der Eisenacher in den Jahren 
1869—1876. Er erschien zweimal wöchentlich in Leipzig unter der Redaktion 
von Wilhelm Liebknecht. Die Red. 
2 Die „Frankfurter Zeitung“ war damals ein oppositionelles Organ der süd 
deutschen kleinbürgerlichen Demokraten. In der „Arbeiterfrage“ nahm sie einen 
sozialreformerischen Standpunkt ein. D i e R e d. 
3 Diese politischen Forderungen des Gothaer Programms lauteten: 
„A. Die deutsche Arbeiterpartei verlangt als freiheitliche Grundlage des 
Staats: 
1. Allgemeines, gleiches, direktes und geheimes Wahlrecht aller Männer vom 
21. Lebensjahre an für alle Wahlen in Staat und Gemeinde; 2. direkte Gesetz 
gebung durch das Volk mit Vorschlags- und Verwerfungsrecht; 3. allgemeine 
Wehrhaftigkeit. Volkswehr an Stelle der stehenden Heere. Entscheidung über 
Krieg und Frieden durch die Volksvertretung; 4. Abschaffung aller Ausnahme 
gesetze, namentlich der Preß-, Vereins- und Versammlungsgesetze; 5. Recht 
sprechung durch das Volk. Unentgeltliche Rechtspflege. 
B. Die deutsche Arbeiterpartei verlangt als geistige und sittliche Grundlage 
des Staats: 
1. Allgemeine und gleiche Volkserziehung durch den Staat. Allgemeine Schul 
pflicht. Unentgeltlichen Unterricht. 2. Freiheit der Wissenschaft. Gewissens 
freiheit.“ Die Red.
	        
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