15
Eigentum
Um zum einzelnen überzugehen, so beginnen Wir mit dem Eigentum
bzw. demEigentumsrecht. Es ist Euch erinnerlich, Ehrwürdige
Brüder und geliebte Söhne, wie Leo XIII. sei. Angedenkens gegen den
damaligen Sozialismus das Eigentum unerschrocken verteidigte, indem
er dartat, wie die Abschaffung des Sondereigentums,
statt der Arbeiterschaft zu nützen, ihr größtesUnglück sein würde.
Da nichtsdestoweniger einige — gewiß sehr zu Unrecht! — Papst und
Kirche verleumderisch der Begünstigung der besitzenden Kreise zum
Nachteil der Enterbten bezichtigen, da ferner auch unter Katholiken
einige Zweifel über die wirkliche und lautere Lehre Leos XIII. entstan
den sind, so erachten Wir es für angezeigt, die Lehre des Papstes, die
keine andere als die der Kirche ist, gegen solche Verleumdung in Schutz
zu nehmen und gegenüber irriger Auslegung klarzustellen.
Individual- und Sozialnatui
Zunächst muß allem Streit entrückt sein: weder Leo nach die unter
Leitung des kirchlichen Lehramtes wirkenden Theologen haben jemals
die Doppelseitigkeit des Eigentums, d. i. seine indivi
duelle und seine soziale, seine dem Einzelwohl und seine dem
Gesamtwohl zugeordnete Seite verkannt oder in Zweifel gezogen. Im
Gegenteil: einmütig lehren sie, das Sondereigentumsrecht sei von der
Natur, ja vom Schöpfer selbst dem Menschen verliehen, einmal, damit
jeder für sich und die Seinen sorgen könne, zum andernmal, damit
mittels dieser Institution die vom Schöpfer der ganzen Menschheits
familie gewidmeten Erdengüter diesen ihren Widmungszweck wirklich
erfüllen: beides hat die Einhaltung einer festen und eindeutigen Ord
nung zur unerläßlichen Voraussetzung.
Zwei gefährlicheEinseitigkeiten sind daher mit Bedacht zu
meiden: Auf der einen Seite führt die Leugnung oder Abschwächung
der Sozialfunktion des Eigentumsrechtes zum Individualismus
oder mindestens in seine Nähe; auf der anderen Seite treibt die Ver
kennung oder Aushöhlung seiner Individualfunktion zumKollekti-
v i s m u s oder läßt wenigstens dessen Standpunkt bedenklich streifen.
Bleibt dies außer acht, so geht es auf abschüssiger Bahn reißend jenem
moralischen, juridischen und sozialen Modernismus zu, auf den
Wir schon im Rundschreiben zum Antritt Unseres Pontifikates warnend
hingewiesen haben. Das sollen vor allem jene umstürzlerischen
Geister sich merken, die ohne Scham der Kirche Schimpf antun
durch die verleumderische Anklage, sie habe in die Lehre ihrer Theo
logen einen angeblich heidnischen Eigentumsbegriff sich einschleichen
lassen, der durch einen anderen zu ersetzen sei, dem sie in bemerkens
werter Unwissenheit die Bezeichnung „christlich" beilegen. .