Full text: Kurzgefasstes Lehrbuch der gerichtlichen Psychiatrie für Mediziner und Juristen

© Rausch. 
wendigkeit hingewiesen werden, in jedem Falle psychiatrischer 
Begutachtung sich die Frage vorzulegen, ob Alkoholmiss- 
brauch in Frage kommt. Vor allem bei Prüfung der Zurechnungs- 
fähigkeit ist es von hoher Bedeutung, ob Potus des Täters für die 
kritische Zeit nachgewiesen werden kann, und ob er gegen Alkohol nur 
geringe Widerstandsfähigkeit besitzt, so dass die Möglichkeit des patho- 
logischen Rausches vorliegt (siehe 5. 160). Indessen auch in zivilrecht- 
lichen Fragen vermag die Tatsache verübten Alkoholmissbrauchs wichtig 
zu werden. 
Der jahrelang fortgesetzte übermässige Genuss von berauschenden 
Getränken, zumal von Schnaps, erzeugt eine bleibende Schädigung des 
Gehirns, auf deren Boden sich flüchtige psychische Störungen bei 
dauernden : intellektuellen und ethischen Mängeln entwickeln. Nicht 
immer treten ausgebildete Delirien in Erscheinung, auch vereinzelte 
nächtliche Halluzinationen, anfailsweise Bewusstseinstrübungen 
und Erregungen von manchmal epileptoidem Charakter gelangen 
isoliert zur Beobachtung. 
Es gehört zu einer gründlichen Vorgeschichte, dass über das Be- 
stehen von Alkoholmissbrauch, sei es jetzt oder früher, Klarheit ge- 
schaffen wird. _Blosses Befragen des zu Untersuchenden führt noch 
nicht immer zum Ziele; jedenfalls ist Ergänzung seiner Angaben durch 
die Mitteilungen Dritter anzustreben. Die einwandfreie Feststellung, 
dass man es mit einem Trinker oder einer Trinkerin zu tun hat, wird 
meist geeignet sein, ein ganz neues Licht auf einen Begutachtungsfall 
zu werfen. Gerade die Trinkerinnen aber pflegen erfahrungsgemäss ihre 
Sucht bis auf das Äusserste abzustreiten. 
Über das forensisch besonders wichtige Zusammenwirken von Kopf- 
verletzung und Alkohol für das Zustandekommen psychischer Aus- 
nahmezustände siehe auf Seite 94! Ob richtige Epilepsie durch 
Alkoholmissbrauch erst erworben und nicht nur bei vorhandener Anlage 
ausgelöst wird, ist strittig und mag daher unberücksichtigt bleiben. 
Dagegen ist hier die geeignete Stelle, um über dern sogenannten 
normalen Rausch, wie ihn sich der Gesunde bei Gelegenheit zuzieht, 
einige Worte zu sagen: An sich ist gewiss jeder Rausch etwas Krank- 
haftes, eine akute Alkoholvergiftung. Er ist yon einer fortschreitenden 
Abnahme der geistigen Leistungsfähigkeit begleitet, welche nur anfangs 
durch die Erleichterung der Willensantriebe überdeckt wird. Der Be- 
rauschte erfreut sich zunächst einer rascheren Umsetzung seiner Ge- 
danken in Worte und Handlungen, lässt aber dabei früh die Kritik 
vermissen und vermag nicht mehr die gewohnten Hemmungen recht- 
zeitig einzuschalten. Allmählich machen sich Erschwerung der Auf- 
fassung und des Denkens bei Verlust der sittlichen Empfindungen be- 
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