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wenn nachher die Schule ohne alle Störungen durchgemacht, ein Beruf
mit Erfolg ergriffen werden konnte, haben für die Verfehlungen des
späteren. Lebens meist überhaupt keine Bedeutung.
Lit. Nr. 178.
8. Haft.
In der Untersuchungshaft wie im Strafvollzuge treten nicht selten
Geistesstörungen in Erscheinung. Einmal können im Strafvollzuge
schon vorher vorhandene und verkannte chronische Irrsinnsformen jetzt
erst offenbar werden, oder das bis dahin nur im Anzuge befindliche
Leiden bricht infolge der seelischen Erregung plötzlich aus; dann aber
bilden auch die mit der Einsperrung im Gefängnis an sich gesetzten
Schädigungen‘ eine wichtige Ursache für die Entstehung geistiger Er-
krankungen.
Verhältnismässig geringe Bedeutung für den gerichtlichen Sach-
verständigen besitzen die chronischen Erkrankungen im’Strafvollzuge.
Vorwiegend sind es katatonische und paranoide Bilder, die sich da ent-
wickeln. Den Inhalt des Wahns bilden hauptsächlich Verfolgungs- und
Beeinträchtigungsvorstellungen gegenüber Richter, Staatsanwalt, An-
staltsleitung, Aufsehern, Mitgefangenen. Häufig ist Nahrungsverweige-
rung infolge von Vergiftungsfurcht. Namentlich bei lebenslänglich Ver-
urteilten wird bisweilen der aus jahrelangem, sehnsüchtigem Wunsche
hervorgegangene Wahn beobachtet, begnadigt zu sein. Gereiztes, miss-
trauisches Wesen, unmotivierte Erregungszustände, Selbstbeschädigungs-
versuche, Verweigerung der Arbeit und andere Disziplinlosigkeiten sind
öfter die ersten Anzeichen einer krankhaften seelischen Veränderung,
die sich in Einzelhaft besonders leicht zu entwickeln scheint. Der
Psychose kann ein ausgesprochen querulatorischer Zug aufgeprägt sein.
Ausserdem kommt es im Strafvollzuge auf dem Boden schwerer
Psychopathie zu mannigfachen akuten und nach Entfernung aus der
unangenehm empfundenen Umgebung rasch ablaufenden Geistesstörungen
mit lebhaften Sinnestäuschungen und phantastischer Wahnbildung (vgl.
degenerative Wahnbildung S. 193), auch mit deutlicher Bewusstseins-
trübung und nachheriger Erinnerungslosigkeit. Es sind sowohl der
Amentia als der akuten Halluzinose der Trinker ähnliche Zustandsbilder
beschrieben worden. Sofortige Unterbrechung des Strafvollzuges und
Verlegung in eine Irrenanstalt sind das beste Behandlungsmittel.
Sehr viel wichtiger sind für den Gutachter die akuten
Geistesstörungen der Untersuchungshaft. Von der Möglich-
lichkeit des Ausbruchs eines Delirium tremens oder einer Alkoholhallu-
zinose bei alten Säufern, von der Auslösung eines manisch-depressiven
Anfalls oder einer schizophrenen Erkrankung durch die Verhaftung
sehen wir hier ab. Diehaftpsychotischen Zustände im engeren
Sinne sind ausgesprochen psychogener Natur: Sie werden
durch die einwirkenden seelischen Erregungen (Schreck, Scham, Reue,
Furcht, Heimweh, Sehnsucht, Verzweiflung, körperliches Unbehagen), den
Haft. 9