Full text: Kurzgefasstes Lehrbuch der gerichtlichen Psychiatrie für Mediziner und Juristen

Depressiv-hypochondrischer Symptomenkomplex. 43 
auch hier in seinen Ansätzen um eine Kombination von hypochondrischen 
und paranoiden Ideen (Gefühl rechtlicher Benachteiligung) handeln. 
Manche Psychopathen (besonders konstitutionell Verstimmte) 
neigen dazu, unter dem erregenden Eindrucke von Berichten oder per- 
sönlichen Beobachtungen über irgendwelche Krankheiten bei anderen 
sich sogleich einzubilden, selbst das gleiche Leiden zu haben, und so 
vorübergehend in einen depressiv-hypochondrischen Zustand zu geraten. 
Meist sind sie aber aufklärender Belehrung schnell zugänglich. Nur bei 
schwerer Psychopathie entwickeln sich gelegentlich ernstere Bilder, die 
fast schon den Eindruck geistiger Störung erwecken können. 
Ausserdem bemerken wir sehr oft hypochondrische Wahnbildung 
in den Depressionszuständen organischer Gehirnkranker, vor 
allem bei Dementia paralytica und senilis. Hier nimmt der Wahn mit 
Vorliebe ganz unsinnige, phantastische Formen an. Im übrigen darf auf 
das an gleicher Stelle über den depressiv-ängstlichen Symptomenkomplex 
Gesagte zurückverwiesen werden (Seite 105). 
c) Stellung des depressiv-hypochondrischen Symptomen- 
komplexes in foro. 
Wie der hypochondrische Zustand an sich im Verlaufe der ver- 
schiedenartigsten Psychosen vorkommt, sind auch die bei ihm zu beob- 
achtenden Delikte sehr mannigfacher Art und mehr durch die 
übrigen Krankheitsäusserungen, als gerade durch die hypochondrischen 
Gedankengänge bestimmt. Treten bei manisch-depressiyvem Irresein 
Angstzustände oder Hemmung hinzu, werden besonders die auf Seite 105 
bis 107 geschilderten Straftaten zur Beobachtung gelangen. Über die 
forensische Bedeutung der Paranoia siehe &. 132, 
Schizophrene. Hypochonder neigen auf Grund ihrer Wahnideen 
manchmal zu Selbstverstümmelungen oder suchen durch Ent- 
laufen in die Wildnis eine „naturgemässe Lebensweise“ zu erlangen und 
machen sich so unter Umständen militärischer Vergehen schuldig. Nicht 
selten melden sie sich hartnäckig krank und behaupten, wegen ihrer 
vermeintlichen Leiden nicht Dienst tun zu können. 
Vielfach geraten Hypochonder mit ihren übertriebenen Klagen 
in den Verdacht der Simulation, zumal wenn Rentenansprüche, Schaden- 
ersatzklagen u. dergl. in Frage kommen. Würdigung des gesamten 
Zustandes wird vor solchen Verwechslungen bei der Begutachtung 
schützen. 
Vernachlässigung des Berufes, ungenügende Besorgung der eigenen 
Angelegenheiten können Ausschliessung der Geschäftsfähigkeit und 
Einleitung von Pflegschaft bezw. Entmündigung erforderlich machen. Die 
egoistische Einschränkung des gesamten Interessenkreises, 
rücksichtsloses Verlangen, dass die Familie sich der schrullenhaften Lebens- 
führung anzupassen hat, mag eine Aufhebung der geistigen Gemeinschaft 
Raecke, Lehrbuch der gerichtlichen Psychiatrie. 
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