Manischer Symptomenkomplex, -—ö
1897 brach abermals eine heftigere Erregung aus: Josef fuhr nach H. zu einem
Freunde, legte sich in dessen Bett und schoss mit einem Revolver in die Decke und
zum Fenster hinaus. Es erfolgte seine Überführung nach der Irrenanstalt in F.
Eigene Beobachtung.
Josef M. ist 31 Jahre alt, mittelgross, gutgenährt, blass. Pupillen, Sehnen-
und Hautreflexe sind regelrecht. Die Zunge wird gerade vorgestreckt. Der Gang
ist sicher. Kein Schwanken bei Fuss- oder Augenschluss. 'Tast- und Schmerz-
empfindung ungestört, Innere Organe bieten keine krankhafte Abweichung. Puls
regelmässig, von mittlerer Stärke. Auffallend sind einzelne choreiforme Zuckungen,
besonders in der Nackenmuskulatur, dann im Gesicht, die sich bei Erregung steigern.
Er ist in der hiesigen Anstalt behandelt worden:
1. Vom 10. 2.—1. 7. 97: War erregt, schrie ununterbrochen:
„Nicht ins Grab! Nicht in den. Ofen! Gift! Kopf ab!“ Sprach von Hölle und
Teufel. Später folgte ein Zustand von allgemeiner Hemmung. Nach der Entlassung
war er noch sonderbaär.
2. Vom 23. 8.—14. 9. 01: Heitere Erregung mit Schwatzen, Prahlen, Pfeifen,
Lärmen, Neigung zur Gewalttätigkeit.
3. Vom 16. 4.—1. 9. 02: Polizeilich gebracht, weil er einen Verwandten mit
Totschiessen bedroht hatte. Sehr erregt, gewalttätig, querulierend.
4. Am 7. 9. 02: Kommt von selbst in aufgeregtem Zustande, deklamiert und
pfeift, entweicht, wird aber nach wenigen Tagen iobsüchtig, nach Zertrümmerung
von Fensterscheiben wieder eingeliefert. Zerreist Wäsche, zerbricht Teller und Löffel,
wirft Kot an die Decke. Schlaflos. °
2. 1. 03: Zertrümmert seine Waschschüssel, droht den Arzt tätlich anzugreifen.
Diese Erregung klingt erst im Februar 03 ab, setzt schon im Mai wieder ein: Zer-
schlägt Fenster, zertrümmert Möbel, sehr streitsüchtig. Im Juni ängstlich, Kopf-
schmerzen, isst schlecht, glaubt Pech und Schwefel zu riechen. Im Juli nörgelnd
gereizt. Im September freier, doch ohne Lust zur Beschäftigung. Von Oktober 03
ab wieder erregter, im Dezember schlaflos, singt und deklamiert viel, knüpft ein
Liebesverhältnis mit vermögensloser Witwe an, macht ihr Geschenke, will sie heiraten.
Januar 04 plötzlich traurig verstimmt, weint viel, hat Reue über sein Tun. Februar
ebenso plötzlich wieder heiter erregt, knüpft gleich wieder das Verhältnis an, ent-
weicht, reist nach W. und wird dort wegen seines auffallenden Gebahrens verhaftet.
Hatte versucht in eine fremde Wohnung einzudringen. Im Polizeigewahrsam zer-
stört er für 90 Mark Sachen, wird zur Anstalt zurückgebracht. Hier krankhaft ge-
reizt, einsichtslos, schimpft und droht mit Tätlichkeiten.
Bei dem Termin am 17, 3. 04 in gedrückter Stimmung, gibt zu, zeitweise
geistesgestört zu sein. Er habe sich eingebildet, durch Hypnose den Kranken helfen
zu können, sei deshalb mitunter freiwillig zur Aufnahme gekommen. Auch habe
er Liebesvorstellungen, die sich zeitweise an bestimmte weibliche Wesen knüpften,
Seine tobsüchtigen Erregungen seien häufiger geworden. In ihnen habe er mitunter
Messiasideen. Nach dem Termin setzte bald Steigerung der Erregung ein mit Ver-
lust dieser Einsicht.
Gutachten.
Josef M. ist geisteskrank und leidet an manisch-depressivem Irresein, d. h.
an periodisch auftretenden Anfällen von abwechselnd melancholischer Verstimmung
und maniakalischer Erregung, die auch mit einzelnen Sinnestäuschungen und Wahn-
vorstellungen einhergehen und in den letzten Jahren immer häufiger auftreten, so
dass sie’kaum noch wirklich freie Zwischenzeiten erkennen lassen. Entwickelt hat
sich diese Geistesstörung auf dem Boden eines dauernden Schwachsinns mässigen
Grades und der Degeneration.
M. ist erblich belastet, hat sich als Kind spät entwickelt, in der Schule und
im späteren Leben nie etwas Rechtes geleistet. Dass schon der Vater diese geistige
Schwäche erkannt hat, geht aus seinem Testament hervor, in welchem er wegen
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