Dämmerzustände.
Kranken werte Erinnerungen herausgeholt werden. Fliessende UÜber-
gänge führen da zweifellos zur bewussten Übertreibung und erheucheltem
Nichtwissen, zumal es sich in den weitaus meisten Fällen um kriminelle
Individuen zu handeln pflegt. Die Abgrenzung ist nicht immer leicht
und hat von Fall zu Fall unter Würdigung der Gesamtpersönlichkeit
zu erfolgen. (Vergl. S. 96.) Ferner kommt die differentialdiagnostische
Abtrennung von dem negativistischen Vorbeireden im katatonischen Sym-
ptomenkomplexe in Frage. Meist sind aber hier die Antworten un-
sinniger, zeigen nicht so regelmässig jenen assozlativen Zusammenhang
mit der unterdrückten richtigen Antwort, sind sprunghafter, zerfahrener,
häufig stereotyp. Der Negativismus pflegt sich noch in anderer Weise
zu äussern, verbindet sich mit schrulligen Gebärden, Spannungserschei-
nungen und den übrigen Merkmalen katatoner Erkrankung. (Siehe 5. 141.)
Im Verlaufe der Katatonie und Hebephrenie kommen epi-
sodisch den Dämmerzuständen ähnliche Anfälle von Bewusstseinstrübung
mit überraschenden Handlungen vor, an welche die Kranken hinterher
keine rechte Erinnerung zu haben behaupten. Doch ist immer zu be-
denken, ob es sich nicht im Grunde mehr um impulsive Verkehrtheiten
infolge von Zerfahrenheit und Willensstörungen gehandelt hat.
Das impulsive Irresein der Psychopathen ist nicht mit einer
Bewusstseinstrübung verbunden. Triebhafte Handlungen wie gewohn-
heitsmässiges Schulschwänzen, Fortlaufen, poriomanisches Reisen dürfen
an sich höchstens den Verdacht auf epileptischen Dämmerzustand er-
regen, finden sich in Wahrheit weit öfter ohne begleitende Bewusstseins-
veränderungen bei Psychopathen und Schwachsinnigen aller Art als Aus-
fluss eines überwuchernden Trieblebens bei ungenügender Entwickelung
oder erworbenem Fortfall der normalen Hemmungen. In anderen Fällen
wieder führt depressiver Affekt oder neurasthenische Verstimmung zu
planlosem Wandern.
Nach schweren Kopftraumen mit Gehirnverletzung kann sich
eine Epilepsie entwickeln; nach Unfällen jeder Art, sofern sie mit starkem
Schreck . verbunden waren, Hysterie. In derartigen Fällen sehen wir
natürlich unter Umständen auch entsprechende Dämmerzustände in KEr-
scheinung treten. Ausserdem werden epilepsieähnliche Zustände isoliert
nach Gehirnerschütterung beobachtet, bald in unmittelbarem Anschluss
an die Kopfverletzung, bald späterhin unter Einwirkung einer neuen
Schädlichkeit, wie Alkoholgenuss. Das leitet schon zu dem Begriffe des
pathologischen Rauschzustandes hinüber.
Ein dem epileptischen Dämmerzustande ähnliches Bild haben wir
endlich bei der sogenannten Schlaftrunkenheit. Wir verstehen
darunter die Erscheinung, dass Psychopathen, zumal. bei Übermüdung,
nach Strapazen und Aufregungen aller Art, in einen ungewöhnlich festen
Schlaf verfallen, aus dem sie nicht gleich vollständig zu erwecken sind.
Es entsteht dann ein eigentümlicher Zustand getrübten Bewusstseins, in
welchem sie ihre Umgebung schreckhaft verkennen, sich bedroht glauben,
um Hilfe rufen, zu fliehen suchen oder sich verzweifelt zur Wehr setzen,
selbst rücksichtslose Angriffe ausführen. Vielfach spielt stärkerer Alkohol-
genuss vor dem Einschlafen mit. So begegnen wir wieder einer Ver-
wandtschaft mit dem pathologischem Rausche.
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