Full text: Kurzgefasstes Lehrbuch der gerichtlichen Psychiatrie für Mediziner und Juristen

Melancholie. 4 
pression ausmünden. Von nervösen Vorboten sind vor allem zu nennen 
Mattigkeit, Unruhe, Arbeitsunlust, Reizbarkeit und Schlaflosigkeit. Ferner 
können sich Magen- und Verdauungsbeschwerden, unangenehme Körper- 
empfindungen, Neuralgien, Kopfweh, Ohrensausen, Schwindel einstellen 
und mit der einsetzenden Depression verbinden. 
Die Haupterscheinungen der ausgebrochenen Geisteskrankheit 
sind dauernd trübe Verstimmung mit Angst (Seite 102) und Lebens- 
überdruss, dazu Denkhemmung und Bewegungsarmut. Sehr pein- 
lich wird das Gefühl der eigenen Leistungsunfähigkeit und Entschluss- 
losigkeit empfunden. Sinnestäuschungen sind häufiger als bei der Manie, 
entsprechen ihrem Inhalte nach den gehegten Wahnvorstellungen. Ver- 
sündigungswahn mit Selbstvorwürfen und Verarmungswahn stehen im 
Vordergrunde. (Seite 1038.) Mit ihnen kann sich hypochondrische 
Wahnbildung verknüpfen oder mehr vereinzelt auftreten (Seite 110). Auf- 
fassung und Orientierung leiden wenig, gehen selten vorübergehend auf 
der Höhe eines besonders heftigen Angstanfalles (Raptus melancholicus) 
verloren. (S. 106). 
Die Dauer schwankt zwischen Monaten und Jahren. Auch hier 
besteht bei älteren Personen eine schlechtere Heilungstendenz. In der 
Regel schwindet die Depression nach !/z bis 1 Jahre, seltener nach 
2—3 Jahren. Doch sind noch Heilungen nach 8 Jahren beschrieben 
worden. Übergang in chronischen Verlauf ist häufiger als bei der Manie. 
Das Leben ist in erster Linie durch die starke Selbstmordneigung ge- 
fährdet. Namentlich unvorhergesehenes Auftreten plötzlicher Verzweif- 
lungsausbrüche kann böse Überraschungen bringen. Nahrungsverweige- 
rung und Schädigung des Körpers durch grosse Bewegungsunruhe in 
der Angsterregung bedingen wie bei der Manie gelegentlich tödlichen 
Ausgang. 
Dem äusseren Bilde nach werden unterschieden: 1. Melancholia 
simplex, einfach traurige Verstimmung mit Hemmung‘ und ziemlich 
geordnetem Gebahren; 2. M. agitata s. activa, Vorherrschen ängst- 
licher Unruhe mit Jammern (hier handelt es sich vielfach schon um 
Mischformen); 3. M. attonita s. cum stupore, Entwicklung der 
allgemeinen Hemmung bis zum Bilde eines Stupors, ähnlich wie in 
katatonischen Zustandsbildern (Siehe S. 140), doch ist der dauernde 
und starke depressive Affekt unverkennbar. Es gibt auch einen mani- 
schen Stupor, wenn sich depressive Hemmung mit manischer Heiterkeit 
mischt. 
Die häufigsten Strafhandlungen bei der Melancholie sind 
Brandstiftung und Angriffe auf Familienmitglieder, die dem Wunsche 
nach gemeinsamem Selbstmord oder nach Beseitigung der unerträglichen 
Spannung entspringen. Entschlusslosigkeit führt zur Vernachlässigung 
der Dienstpflichten (S. 107). Hypochondrische Ideen können zu den 
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