Full text: Kurzgefasstes Lehrbuch der gerichtlichen Psychiatrie für Mediziner und Juristen

Delirium tremens. 
Auf seelischem Gebiete entwickeln sich hohe Reizbarkeit mit 
Zornausbrüchen und brutaler Gewalttätigkeit, Schreckhaftigkeit, Ge- 
dächtnisschwäche und Willenlosigkeit ; die höheren sittlichen Empfindungen, 
Gefühl für Anstand, Ehre, Rücksichtnahme auf andere, Liebe zu den 
Angehörigen gehen verloren; der Interessenkreis schränkt sich ein; 
Pflichtgefühl und Arbeitslust schwinden. Schliesslich bildet sich die 
alkoholische Demenz heraus (Seite 178). 
Auf dem Boden des chronischen Alkoholismus können mannigfache 
flüchtige seelische Ausnahmezustände erwachsen. Zu der anfänglichen 
Schlaflosigkeit und zeitweiligen Beklemmungsgefühlen treten wahnhafte 
Träume und Visionen, zu dem reizbaren Misstrauen Beeinträchtigungs- 
ideen und besonders Eifersuchtswahn (Seite 129), die Zornerregungen 
arten in Tobsucht aus. Hervorgehoben sei die Tatsache, dass an- 
fangs alle diese Erscheinungen bei erzwungener Enthaltsamkeit (Haft!) 
sich zurückbilden können, so dass der Gutachter sich vor ein vollständig 
verändertes Bild gestellt sieht. Daher ist auch bei alkoholischen Zu- 
ständen Vorsicht mit der Prognose grundsätzlich anzuraten. 
Der chronische Alkoholismus bedeutet, so lange er 
noch nicht zu ausgesprochener Demenz geführt hat, keine 
Geisteskrankheit und ist wie ein anderer psychopathischer 
Zustand zu beurteilen. (Vergl. S. 194.) Die Herabsetzung der Hem- 
mungen führt leichter als bei Gesunden zu unüberlegten Delikten. Handelt 
es sich um ein Affektverbrechen, mag unter Umständen die krankhafte 
Reizbarkeit die Anwendung des 8 51 begründen. Immer ist an pathologi- 
schen Rausch zu denken (Seite 160). Im übrigen ist nach dem Vor- 
handensein flüchtiger Ausnahmezustände zur Zeit der Begehung der 
Tat zu fahnden, oder nach wahnhaften Gedankengängen (Eifersucht). 
Die häufigsten Strafhandlungen der Alkoholisten sind Gewalt- 
tätigkeiten und Sittlichkeitsverbrechen. Über Entmündigung siehe Seite 54. 
Immer können sich bei Trinkern ausgesprochene alkoholische Geistes- 
störungen entwickeln: 
1. Delirium tremens. 
‘Es ist daran festzuhalten, dass ein typisches Delirium tremens nur 
bei, chronischer Trunksucht entstehen kann. Den Ausbruch auslösen 
mögen mannigfache äussere Schädlichkeiten wie fieberhafte Erkrankungen 
(Lungenentzündung), Unfallverletzungen, zumal wenn sie Bettruhe er- 
forderlich machten, Strapazen aller Art und heftige Gemütsbewegungen. 
Plötzliche Alkoholentziehung in Trinkerheilanstalten rufen kein Delirium 
hervor; die in der Haft bei Säufern ausbrechenden Delirien sind wohl 
ausser durch die ungewohnte Enthaltsamkeit durch die gleichzeitige 
seelische Erregung verursacht. 
Die Geisteskrankheit tritt ziemlich plötzlich in Erscheinung; 
höchstens machen sich zuvor einige wenige Tage Vorboten bemerkbar 
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