Full text: Kurzgefasstes Lehrbuch der gerichtlichen Psychiatrie für Mediziner und Juristen

Kokainismus. ud 
übt über sie eine um so zwingendere Herrschaft aus, weil jede Unter- 
brechung des gewohnheitsmässigen Gebrauches die unangenehmsten Ab- 
stinenzerscheinungen, Abgeschlagenheit, ängstliche Unruhe, Beklemmung, 
Herzklopfen, Zittern, Frost, Schweiss, Gähnen, Niesen, Aufstossen, Er- 
brechen, Durchfälle, Muskelschmerzen, Wadenkrämpfe, Herzschwäche, 
hervorrufen kann. Mit einer neuen, zumal subkutanen, Morphiumgabe 
schwinden rasch diese quälenden Störungen und der Kranke fühlt. sich 
wieder frisch und leistungsfähig. Allmählich erweist sich aber stete 
Steigerung der gewohnten Dosen erforderlich. 
Mit der Zeit kommt es zu fortschreitendem körperlichen Ver- 
fall: Schlaffe Gesichtszüge, Haarausfall, Impotenz, Dysmenorrhöe, Par- 
ästhesien, Schlaflosigkeit, Miosis mit schlechter Lichtreaktion, Fehlen 
des Kniephänomens können sich einstellen. Meist finden sich am Körper 
zahlreiche pigmentierte Kinstichstellen der Spritze und Abszessnarben. 
Wichtiger sind die seelischen Erscheinungen: Neben häufigem 
Stimmungswechsel machen sich Vergesslichkeit und Arbeitsunlust, Ver- 
lust der sittlichen Empfindungen mit unwahrhaftigem, querulierendem 
und egoistischem Verhalten bemerkbar. Die häuslichen und beruflichen 
Pflichten werden vernachlässigt, das Ehrgefühl schwindet immer mehr. 
Ängstliche Erregungszustände und Delirien können sich vorüber- 
gehend einstellen. 
In forensischen Fällen hat sich die Beurteilung nach der Schwere 
dieser Erscheinungen zu richten. Bei den häufigen Rezeptfälschungen 
wird es in erster Linie darauf ankommen, ob der Kranke unter dem 
übermächtigen Zwange seiner Abstinenzerscheinungen gehandelt hat. 
(Vergl. S. 196.) 
Die Behandlung hat in Durchführung einer Entziehungskur in 
geschlossener Anstalt zu bestehen. Alle anderen Kuren pflegen bei der 
Einsichtslosigkeit und Verlogenheit der Patienten kaum zum Ziele zu 
führen. Für die Prognose ist die Schwere der psychopathischen 
Veranlagung von Bedeutung, da das Fortbestehen süchtiger Neigung nur 
zu leicht zu Rückfällen oder Missbrauch anderer Betäubungsmittel führt. 
Unter Umständen kommt als Schutzmassregel die Entmündigung in 
Frage. (Beispiel 31, S. 199.) 
c) Kokainismus. 
Der noch gefährlichere gewohnheitsmässige Genuss von Kokain 
verbindet sich oft mit dem Morphinismus und wird vielfach durch den 
Unfug veranlasst, das Kokain als Ersatz für Morphium bei einem Ent- 
ziehungsversuche zu verwenden. Hier kommt es nur noch rascher zu 
körperlichem und geistigem Verfall. Namentlich bilden sich grosse 
Willensschwäche und weitgehende Charakterdegeneration heraus. Vorüber- 
gehende Geistesstörungen entwickeln sich noch häufiger und viel stürmi- 
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