Full text: Kurzgefasstes Lehrbuch der gerichtlichen Psychiatrie für Mediziner und Juristen

Verminderte Zurechnungsfähigkeit. 
Ich fasse mein Gutachten dahin zusammen: 
1. Der Angeschuldigte leidet an hochgradigem Schwachsinn mit 
Triebhandlungen. 
2, Es ist mit Bestimmtheit anzunehmen, dass er sich zur Zeit 
der Begehung der ihm zur Last gelegten Straftaten in einem 
Zustande krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden 
hat, durch welchen die freie Willensbestimmung ausge- 
schlossen war. 
2. Verminderte Zurechnungsfähigkeit. 
Unser heutiges Recht kennt zwar eigentlich keine verminderte Zu- 
rechnungsfähigkeit. Allein da für die Reform des Strafgesetzbuches 
eine solche in Aussicht genommen ward, und nicht nur von medizinischer 
sondern auch von juristischer Seite das Für und Wider vielfach erörtert 
worden ist, so hat sich neuerdings bei den Gerichten dieser Begriff 
immer mehr eingebürgert. 
Theoretisch ist er zweifellos berechtigt auf Grund der Überlegung, 
dass die Natur keine Sprünge liebt, und dass fliessende Übergänge vom 
Gesunden zum Kranken auf seelischem wie körperlichem Gebiete hinüber- 
ziehen. Auf diese Weise entsteht notwendig ein breites Grenzgebiet 
sogenannter psychopathischer Zustände, deren schwierige Beurteilung 
immer wieder den Wunsch nach einem Mitteldinge zwischen völlig vor- 
handener und völlig ausgeschlossener Zurechnungsfähigkeit hat lebendig 
werden lassen. 
Auf der anderen Seite ist nicht zu verkennen, dass in der Praxis 
die Schaffung einer ausdrücklich anerkannten verminderten Zurechnungs- 
fähigkeit auch ihre ernsten Bedenken haben würde. Nur zu leicht 
könnte Mangel an Erfahrung oder Verantwortungsscheu einen erlösenden 
Ausweg aus dem gefürchteten Entweder — Oder in der neu eröffneten 
Möglichkeit erblicken, auch wenn in Wahrheit ein solcher Grenzzustand 
gar nicht vorliegt... Namentlich bestände die Gefahr, dass tatsächliche 
Geisteskranke, deren Leiden schwer zu erkennen ist, zu ihrem Nachteil 
als nur vermindert zurechnungsfähig ‘ angesehen und verurteilt würden. 
Will man heute einen Menschen, weil er aus krankhaften Gründen 
nicht in der gleichen Weise wie der gesunde Durchschnittsmensch Ver- 
suchungen zu widerstehen oder die Folgen seiner Tat zu übersehen ver- 
mag, milder beurteilt wissen, so besitzt in den meisten Fällen der 
Richter dazu die Möglichkeit, indem er mildernde Umstände als gegeben 
erachtet. Der Sachverständige muss nur das Bestehen einer solchen 
Minderwertigkeit in entsprechender Weise dartun. Allerdings sind heute 
noch nicht für jeden Paragraphen des Strafgesetzbuches mildernde 
Umstände zugelassen. Vielleicht wäre erst hier die bessernde Hand 
anzulegen. 
Das Bedenken, ‚dass gerade die Gewohnheitsverbrecher, also die 
gefährlichsten Elemente, am häufigsten einzelne psychopathische Züge 
besitzen und daher Anspruch auf solche schonungsvollere Behandlung 
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