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ist, dass vielfach Gerichtsärzte und Kreisärzte sich an den Gedanken
gewöhnt haben, der $ 56 gehe sie nichts an, weshalb sie schon bei
mässigen Schwachsinnsgraden sich bestrebt zeigen, das schwere Geschütz
des $ 51 heranzuführen. Und doch dürfte es wenig zweckmässig sein,
jedem Jugendlichen, welcher vorübergehend in der geistigen Entwicklung
hinter seinen Altersgenossen zurückgeblieben ist, den Stempel der Un-
zurechnungsfähigkeit wegen Geisteskrankheit anzuheften, weil er sich
eine geringfügige Verfehlung hat zu Schulden kommen lassen, für die
man ihn wegen seiner Minderwertigkeit nicht verantwortlich machen
möchte. Auch ist sehr zu bedenken, dass für Jugendliche mit einem
noch in fortschreitender Entwicklung befindlichen Gehirn erziehliche Mass-
nahmen nützlicher sind, als die Ausstellung eines Freibriefes in Form
der Unzurechnungsfähigkeit.
Auf Grund solcher Erwägungen ist entschieden anzuraten, sich des
S 56 häufiger zu bedienen. Der ärztliche Sachverständige kann das bei
leichteren Intelligenzdefekten in der Weise tun, dass er darlegt, der
jugendliche Angeschuldigte habe noch nicht die geistige Entwicklungs-
stufe eines 12jährigen Kindes erreicht. Aber auch bei schwer psycho-
pathischen Individuen ohne ausgesprochenen Intelligenzdefekt ist eine
entsprechende Wendung zu finden. So lässt sich beispielsweise darauf
aufmerksam machen, dass gegenüber dem hei Psychopathen oft über-
mächtig entwickelten Triebleben gerade die auf Verstandesreifung und
Gewinnung höherer sittlicher Vorstellungen beruhenden Hemmungen
durchaus ungenügend ausgebildet sind, ja gelegentlich fast völlig ver-
misst werden. Da auch dieser Mangel ein Zurückbleiben in der geistigen
Entwicklung gegenüber normalen Zwölfjährigen und eine Schädigung der
Einsichtsfähigkeit bedeutet, bietet sein Nachweis dem Richter die Hand-
habe, fehlende Strafmündigkeit anzunehmen. Mancher Jugendrichter
pflegt. von dieser Möglichkeit recht gerne Gebrauch zu machen.
Nach dem Vorentwurfe zum neuen Strafgesetzbuche soll auf den
S 56 verzichtet und dafür das Strafmündigkeitsalter allgemein auf
14 Jahre hinaufgerückt werden. Man mag die erstere Absicht bedauern.
Jedenfalls ist der Ausbau eines eigentlichen Jugendstrafrechtes mit
grösserer Erweiterung der richterlichen Bewegungsfreiheit, und haupt-
sächlicher Betonung der erziehlichen Massnahmen an Stelle der Sühne
dringend anzustreben. Ein Anfang ist gemacht worden mit der be-
dingten Strafaussetzung bei erstmalig verurteilten Jugendlichen unter
19 Jahren, gegen‘ die auf eine nicht mehr als sechsmonatliche Freiheits-
strafe erkannt worden ist. Bei guter Führung kann endgültige Begna-
digung eintreten.
Über Fürsorgeerziehung siehe unter vormundschaftlichen Mass-
nahmen. (Seite 56.)
Steht ein Jugendlicher unter 18 Jahren vor dem Schwurgericht,
so muss gesetzlich den Geschworenen zugleich mit der Schuldfrage die
Nebenfrage vorgelegt werden, ob der Angeklagte bei Begehung der Tat
die zur Erkenntnis ihrer Strafbarkeit erforderliche Einsicht besessen
Raecke., Lehrbuch der gerichtlichen Psychiatrie.
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