Strafvollzugsfähigkeit.
C. Strafvollzugsfähigkeit.
Strafen dürfen an Geisteskranken nicht vollstreckt werden. Dar-
über liegen die folgenden Bestimmungen vor:
$ 485, 2 St.P.O.: „An schwangeren oder geisteskranken Personen darf ein
Todesurteil nicht vollstreckt werden“.
$ 487, 1 St.P.O0.: „Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe ist
aufzuschieben, wenn der Verurteilte in Geisteskrankheit verfällt“.
Desgl. Absatz 3: „Die Vollstreckung kann auch dann aufge-
schoben werden, wenn sich der Verurteilte in einem körperlichen
Zustande befindet, bei welchem eine sofortige Vollstreckung mit der
Einrichtung der Strafanstalt unverträglich ist“.
Betraf der erste Absatz des 8 487 eigentliche Geistesstörungen,
so vermag der Absatz 3 gegenüber häufigen Krampfanfällen und Zu-
ständen von Morphinismus, Kokainismus mit schwerem körperlichen
Verfall von Bedeutung zu werden. Gelegentlich können sogar bei Fehlen
geeigneter Pflegeeinrichtungen hysterische Lähmungen, Gangstörungen,
Nahrungsverweigerung in Betracht kommen. ;
Ferner braucht eine Behinderung der Strafvollstreckung nicht unter
allen Umständen erst dann einzusetzen, wenn eine geistige Störung bereits
ausgebrochen ist. Auch die dringende Gefahr einer solchen Erkran-
kung mag genügen, d. h. es bildet starke Veranlagung zu geistiger Er-
krankung einen Grund für Strafaufschub, wenn die seelische Erregung
sich aus Angst vor der Strafe bis zu bedrohlicher Höhe steigert, und
Zeichen psychischer Störung sich bemerkbar zu machen beginnen. $ 488
SE PO: führt “aus:
„Auf Antrag des Verurteilten kann die Vollstreckung aufgeschoben werden,
sofern durch die sofortige Vollstreckung dem Verurteilten oder der Familie des-
selben erhebliche, ausserhalb des Strafzwecks liegende Nachteile erwachsen. '
Der Strafaufschub darf den Zeitraum von 4 Monaten nicht übersteigen.
Die Bewilligung desselben kann an eine Sicherheitsleistung oder andere
Bedingungen geknüpft werden“.
Es ist ja gar keine Frage, dass es nicht der vom Gesetzgeber be-
absichtigte Zweck einer Freiheitsstrafe ist, geistige Erkrankung hervor-
zurufen. Insofern ist dieser Paragraph durchaus anwendbar, wenn der
Arzt den Eindruck erhält, dass sofortiger Strafantritt bei der herrschen-
den Erregung die schlimmsten gesundheitlichen Folgen nach sich ziehen
dürfte. Allein einen grossen Nachteil bedeutet die kurze Befristung
des Aufschubs. Die drohende Strafe steht dem Kranken dauernd vor
Augen und lässt ihn nicht zur inneren Ruhe gelangen. Viel wird ge-
rade in psychiatrischen Fällen mit der Anwendung obiger Bestimmung
nicht erreicht.
Hier überall handelt es sich um Verurteilte, die vor Antritt der
Strafe in seelische Ausnahmezustände gerieten. Unter ihnen begegnen
wir wieder besonders häufig Hysterikern, welche sich vor dem Gefäng-
nis fürchten. Anders liegt die Sache, wenn eine Psychose erst ım Ver-
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