Full text: Kurzgefasstes Lehrbuch der gerichtlichen Psychiatrie für Mediziner und Juristen

2 Strafvollzugsfähigkeit, 
laufe der Freiheitsstrafe ausbricht. Handelt es sich dann nicht um 
eine rasch vorübergehende Störung und erweist sich die Überführung 
in eine Irrenanstalt als erforderlich, wird in der Regel sehr bald eine 
Unterbrechung des Strafvollzugs verfügt, um die Kosten der Unter- 
bringung auf die unterstützungspflichtigen Gemeinden abzuwälzen. Das 
hat den grossen Nachteil für den erkrankten Strafgefangenen, dass 
seine Strafzeit während der Unterbrechung nicht weiter läuft, und die 
Zeit, welche er so unfreiwillig in der Irrenanstalt verbringt, ihm nicht 
gerechnet wird. Wird dann später mit endlich eingetretener Genesung 
die Rückverbringung in den Strafvollzug notwendig, obgleich dieser 
ursprünglich die Veranlassung der Erkrankung gebildet hatte, ist natür- 
lich die Gefahr eines Rückfalls sehr gross, und in der Tat sehen wir 
manche zu langfristigen Freiheitsstrafen Verurteilte wiederholt zwischen 
Gefängnis und Irrenanstalt hin und her wechseln. 
In Preussen sollte daher laut ministerieller Verordnung ein geistes- 
krank gewesener Verbrecher vor Wiederantritt seiner Strafe erst noch 
im nächstgelegenen psychiatrischen Adnexe einer Strafanstalt auf seine 
Strafvollzugsfähigkeit beobachtet werden. 
Gelegentlich wird es sich aber überhaupt empfehlen, aus ärztlichen 
Gründen ein Gesuch des Gefangenen um Anrechnung seiner in der 
Irrenanstalt verbrachten Zeit zu unterstützen durch einen energischen 
Hinweis auf die Gefahren erneuter Einsperrung. 
— Zum mindesten mache man in Fällen, wo die geistige Erkran- 
kung in Einzelhaft entstanden war, rechtzeitig darauf aufmerksam, 
dass eine Wiederverbringung in Einzelhaft bei etwaiger Weiteryer- 
büssung der Strafe im Interesse der Erhaltung der Gesundheit 
dringend zu vermeiden ist, 
An sich liefe die Strafzeit trotz Verbringung in ein Krankenhaus 
in den allermeisten Fällen automatisch weiter, würde eben nicht aus 
fiskalischen Gründen die Unterbrechung verfügt. Denn $ 493 St.P.O. 
bestimmt ausdrücklich: 
„Ist der Verurteilte nach Beginn der Strafvollstreckung wegen Krankheit 
in eine von der Strafanstalt getrennte Krankenanstalt gebracht worden, so ist 
die Dauer des Aufenthalts in der Krankenanstalt in die Strafzeit einzurechnen, 
wenn nicht der Verurteilte mit der Absicht, die Strafvollstreckung zu unter- 
brechen, die Krankheit herbeigeführt hat. 
Die Staatsanwaltschaft hat im letzteren Falle eine Entscheidung des Ge- 
richts herbeizuführen.“ 
Das wäre z. B. bei Selbstbeschädigungen der Fall. Es kann sich 
dann fragen, ob der Strafgefangene solche in geistesgestörtem Zustande 
verübt hat, sodass sie ihm auf Grund des $ 51 St.G.B. nicht als 
schuldhafte Absicht zur Last gelegt werden dürfen, 
Auch Eingaben der Angehörigen um KErlass des Strafrestes auf 
dem Gnadenwege werden durch ärztliches Attest unterstützt werden 
können. Als’ Beispiel diene folgendes Zeugnis: 
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