Full text: Kurzgefasstes Lehrbuch der gerichtlichen Psychiatrie für Mediziner und Juristen

Beispiel für Entmündigungsgutachten. 
Das eigentliche Gutachten zerfällt ebenfalls wieder in zweı 
Abschnitte. Im ersten wird die wissenschaftliche Diagnose festgestellt 
und erwogen, ob eine wesentliche Besserung nach der Art des Leidens 
in nächster Zeit zu erwarten steht. (Wäre dieses der Fall, würde sich 
ja eine Entmündigung vielleicht erübrigen und blosse Pflegschaft ge- 
nügen; vgl. S. 49.) Im zweiten, fast noch wichtigeren Teile wird aus- 
geführt, ob und durch welche krankhaften Erscheinungen der Patient 
verhindert wird seine Angelegenheiten zu besorgen, wobei der Umfang 
dieser gleichfalls zu berücksichtigen bleibt. Endlich ist der Grad der 
Beeinträchtigung der Geschäftsfähigkeit abzuschätzen und je nach der 
Sachlage entweder eine völlige Aufhebung oder nur eine Beschränkung 
der Geschäftsfähigkeit anzunehmen. Der Schlusssatz passt sich der 
Sprache des $ 6 B.G.B. (S. 34) „an und lautet etwa: „N. N. vermag 
infolge von Geisteskrankheit (bzw. infolge von Geistesschwäche) im Sinne 
des $ 6, 1 B.G.B. nicht seine Angelegenheiten zu besorgen“. 
Ausser dem nachstehend mitgeteilten Fall 6 sind noch die Beispiele 11, 13, 
17, 26 ausführlich mitgeteilt. 
Beispiel 6. 
(Angeborener Schwachsinn. Verstärkung der Erscheinungen im Rück- 
bildungsalter. Entmündigung wegen Geistesschwäche.) 
Auf Ersuchen des Amtsgerichts in F. erstatte ich in der Entmündigungssache 
gegen Heinrich G. aus E. nachstehendes Gutachten über dessen Geisteszustand: 
Zur Verfügung standen die Akten des Amtsgerichts und die eigene Beo- 
bachtung. 
Vorgeschichte. 
Gegen den am 25. 6. 63 geborenen Heinrich G. ist Entmündigung wegen geistiger 
Erkrankung beantragt worden. Seine Schwägerin gab am 4. 10. 18 an, er sei seit 
seinem 5. Jahre nicht richtig normal gewesen, habe in der Schule wenig gelernt und 
später fast nichts gearbeitet. Wiederholt habe er sich in Anstalten befunden. Jetzt 
sei er ganz untätig, unsauber, wasche und kämme sich nicht, bilde den Spott der 
Kinder. Am 14, 1.19 fügte sie hinzu, G. sei unfähig sich durch eigene Arbeit seinen 
Unterhalt zu beschaffen, er gehe andere darum an, habe sich schon Essen aus dem 
Schweinetrog geholt. Niemand wolle mit ihm zu tun haben, da er ganz verwahrlost 
sei. Sein Bett habe er durch Unreinlichkeit verfaulen lassen, ebenso sein Hemd; 
seine Kleidung sei abgerissen. Er ‚sei nicht fähig, seihe Angelegenheiten zu hbe- 
sorgen. 
G. selbst behauptete bei seiner Vernehmung, sich durch Feldarbeit zu ernähren. 
Bei weiterem Befragen schränkte er das dahin ein, er habe manchmal ausgeholfen, 
wenn die Russen weg waren. In der Schule sei er aus der 3. Klasse entlassen 
worden, habe als Messinggiesser lernen wollen, es aber nicht vertragen, Er könne 
seinen Namen schreiben, aber nicht Briefe; das Aufsetzen falle ihm zu schwer. 
Kopfrechnen und Auswendiglernen seien ihm stets schwer geworden. Die Aufgabe 
2 x 17 macht ihm grosse Mühe, Erst nach mehreren vergeblichen Versuchen ge- 
lingt die Lösung. 101—8 seien „94“. 
(Welche Regierung haben wir jetzt?) „Darüber habe ich mich noch nicht 
befragt.“ 
Hat keinerlei Verständnis und Interesse für die Tagesereignisse. 
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