Ehescheidung. 2
die massgebenden Gesichtspunkte einfach schematisch ableiten. Jeder
einzelne Fall will gesondert betrachtet und sorgfältigst überlegt sein.
Lit. Nr. 41. 45, 157, 166, 215.
Beispiel 10.
(Ehescheidungsklage wegen Geisteskrankheit. Aufhebung der geistigen
Gemeinschaft durch paranoischen Eifersuchtswahn bei Tabes.)
Dem Landgericht, 3. Zivilkammer, in F. beehre ich mich in der Ehescheidungs
sache S. gegen S. nachstehendes Gutachten darüber zu erstatten, ob die Beklagte
seit mindestens 3 Jahren geisteskrank ist, und die Geisteskrankheit einen solchen
Grad erreicht hat, dass die geistige Gemeinschaft zwischen den Parteien aufgehoben,
auch jede Aussicht auf Wiederherstellung dieser Gemeinschaft ausgeschlossen ist.
Zur Verfügung standen:
1. Die Ehescheidungsakten.
2. Die Pflegschaftsakten.
3. Eigene Beobachtung.
Vorgeschichte.
Der Installateur Philipp S. hat gegen seine Ehefrau Julie S. die Ehescheidung
wegen Geisteskrankheit beantragt, weil ihn die Beklagte schon seit einer Reihe von
Jahren grundlos mit heftigem Hass verfolgt, zu welchem der Kläger nicht den min-
desten Anlass geben will. Sie beleidige und beschimpfe ihn masslos, werfe ihm
widernatürliche Unzucht vor, Verkehr mit Frauenzimmern, die Absicht, sie zu ver-
giften. Mehrfach habe sie ihm ins Gesicht gespieen, ihn geschlagen. Sie habe ihn
auch in Briefen an andere Personen unerhört verleumdet. Sie habe den Haushalt
vernachlässigt und nicht mehr für ihn sorgen wollen. Daher hatte er sich auf ärzt-
lichen Rat entschlossen, der Beklagten ein eigenes Häuschen einzuräumen.
Der Arzt Dr. K. gibt an, die Ehefrau S.. bereits vor 4 Jahren wegen ihrer
Wahnvorstellungen behandelt zu haben.
Der Sohn Karl S. hat bekundet, dass seine Mutter seit 6 Jahren in immer
steigendem Masse dem Vater Eifersuchtsszenen gemacht habe. Schliesslich sei kein
Tag ohne eine solche Szene vergangen. Sie habe ihn „Louis, Betrüger, Bankrotteur“
geschimpft, im Kaffee Gift geschmeckt, behauptet, der Vater treibe mit seinen Söhnen
Päderastie.
Der Sohn Richard S. war Zeuge, wie die Mutter den Vater in ihrer Erregung
schlug und anspuckte, auch der Geschäftsführer M. ist wiederholt bei ähnlichen Szenen
zugegen gewesen. Ferner liegen Briefe an andere Personen vor, in welchen die Be-
klagte den Ehemann als Lumpen, herzlosen Schuft, Louis ersten Ranges bezeichnet,
dem sie das Schlimmste wünsche. Er gehöre ins Zuchthaus! In Briefen an die
eigenen Söhne benennt sie den Vater: „Alte sexuelle Sau“.
Später gab der Kläger noch an, seine Frau sei stets leicht erregbar gewesen,
habe sich immer zurückgesetzt geglaubt. Die Eifersucht habe sich vor 8 Jahren
zuerst bemerkbar gemacht. Vor 6 Jahren habe sie ein Nervenleiden bekommen und
das Wasser nicht mehr halten können. Seither habe er auf ärztlichen Rat den Ge-
schlechtsverkehr mit ihr eingestellt. Seitdem sei ihr Zustand immer wüster geworden.
Sie war seither fest überzeugt, dass Kläger Unsittlichkeiten im Hause treibe und
ihr nach dem Leben trachte. Er benutze die Kinder und die Hauskatze zur geschlecht-
lichen Befriedigung, halte sich Frauenzimmer, tue ihr Gift in die Speisen. Wieder-
holt habe sie Nahrungsmittel in der Apotheke auf Gift untersuchen lassen wollen.
Gegen die Kinder und Fremde war sie freundlich; der Hass richtete sich nur gegen
ihn. Sie suchte ihn zu ärgern, wie sie konnte, Als er mit der Familie umziehen
musste, weigerte sie sich trotz allen Bittens, das alte Haus zu verlassen. Man musste
sie mit Gewalt in eine Droschke packen und ins Sanatorium fahren, bis sie sich be-
mr