Full text: Wilhelm Gerhard's Gesänge der Serben

sie Niemand. Namentlich in der Türkei haben die Volks- 
zählitngeir eine eigenthümliche Beschaffenheit, welche sie sehr 
wesentlich von den unsrigen unterscheidet. Man zählt näm- 
lich nur die erwachsenen Männer, und zwar vorzugsweise 
aus zwei Gründen: Erstens ist dem Zähler das Eindringen in 
das Frauenhaus (Türkisch: Harem, griechisch: yvvcuxeiov, im 
mittelalterlichen Deutsch „das Frauenzimmer" genanitt), durch 
Gesetz und Sitte verboten. Zweitens aberivird derCharadsch, 
das Kopfgeld, nur von den erwachsenen Männern (russisch: 
„Seeleir") gehoben, und das ist für die Türken der Hauptzweck. 
Die serbische Rasse hat sich in den verschiedenen Terri 
torien sehr verschieden entwickelt. 
In Bosnien ging der serbische Adel schon kurz nach der 
türkischen Annexion zum Islam über und zog einen Theil 
der übrigen Bevölkerung nach sich. Dieser jetzt muhameda- 
nische Adel, die Beg's (sprich: „Beh") riß allen werthvollen 
Grundbesitz an sich und trat dadurch in den feindseligsten 
Gegensatz zu der christlichen Rajah, welche zu einem bedauer 
lichen rustikalen Proletariat herabsank. Der bosnische Auf 
stand ist im Wesentlichen nicht ein Religions- oder Rassen-, 
sondern ein Banern-Krieg, eine Jacquerie, ein Kampf zwischen 
dem privilegirten Großgrundbesitz und den unterdrückten 
Kleinbauern und Hirten. 
In der Herzegowina blieb ein Theil der serbischen Woj- 
woden seinem alten Glauben getreu, wußte sich aber seine 
Privilegien durch Berate des Padischah zu erhalten. In der 
Kraina regierten unter türkischer Oberhoheit noch bis in das 
neunzehnte Jahrhundert hinein die erblichen Knäse des alten 
dynastischen Stammes. Deshalb hatte hier der Aufstand einen 
andern Charakter. Er lehnte sich mehr an Montenegro an, wo 
wir noch am Meisten jenes heroische Element vertreten finden, 
welches sich in den alten serbischen Gesängen so getreu wieder 
spielt und uns an die homerischen Helden erinnert.
	        
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