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nach Logik und Ethik wählt. Wo ein Mann
zum Wunschbild seines Volkes emporwächst,
wie durch einen Akt der Gnadenwahl, da
sind — (so glaube ich) Gewalten der Sym
pathie lebendig, dank deren jene rein ideale
Macht, die wir Nation und Geschichte der
Nation nennen, instinktiv den empirischen
Menschen ergreift und hochträgt, der ihrem
eigensten Wesenskerne am verwandtesten
und getreuesten ist. Man braucht Deutsch
lands Nibelungenlied nicht zu kennen, wenn
man Blut von seinem Blute ist. Auch ich
beuge wie die drei Weisen aus dem Morgen
lande alle meine Weisheit vor dem törichten
Kindchen und sogar vor dem Eselchen. Wir
historischen Menschen leben nur von gnaden
aller Illusion. Aber dort, wo wir nicht mehr
Geschichte sind, nicht mehr Volk, nicht mehr
Zeit, da erwacht in uns die große Zweifels
frage des Judas: Bist du der Erwählte? Es
ist nicht dankbar, Exzellenz, es ist nicht leicht,
vom Schicksal zum Zweiflertum dieses Judas
bestimmt zu sein. Er geht immer zugrunde
und wandert durch die Jahrtausende als das
Schreckbild der Kinder. Aber Deutschlands
versonnenster und tiefster Dichter hat von
ihm erspürt: „Der war von allen Jüngern der
gläubigste. War der einzig Fromme.“ Nun,
ich stellte hier die Zweifelsfrage der Prüfung
und gab ihr nicht die Form der demütigen