Full text: Betrachtungen über Frankreich

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Sofeph de Maiftre 
axtiger Kraft verdidhtet. Ihr Schaffen ift kein Arbeiten, fondern 
ein freies Sichausjtrömen, ein Gebären, dem eine tiefe Ruhe folgt. 
Diefer zeitiveilige Schlaf ijft das untrügliche Merkmal inneren 
Qebens. Nur was zu ruhen vermag, ift lebendig, kann dauern. 
Schöpferifhe Kraft i{t mithin das gerade Gegenteil von handiverk- 
licher VBielgefdhäftigkeit. Sie ift ihrem Wejen nach völlig irrational 
und unberehenbar. Man kann fie nidht wollen. CSHöpfertum ilt 
Snade, it Gejchenk der Gottheit. Nur der von ihr begnadete Menidh 
vermag wahrhaft zu fchaffen. Der Quell aller [Höpferifhen Kraft 
ijt Gott, nur er ijt Schöpfer im eigentlichen Sinne des Wortes. 
Ale menfchlidhen Schöpfungen find Ausftrahlungen feiner AUntacht. 
Gr it der Urgrund alles Lebens und fomit auch des Lchens der 
Nölfer. Alle Staaten, alle Nationen haben in feinem Willen ihren 
leßten Rechtsgrund. 
Damit dürfte der Begriff der Dauer in feiner inneren Dialektik 
und feinen metaphyfijhen Konfequenzen hinreichend geflärt fein, 
8 erhebt fiH nun das weitere Problem, weldhe verfchiedenen AUu8s- 
prägungen diefes Grunderlebnis je nach dem Stoff, an dent es [ih 
entzündete, bei den einzelnen Trägern der traditionalijtijchen 
Gedankenwelt erfahren hat. Die Beantwortung diefer Frage wird 
uns zugleidh einen Einblid in die zeitgefhicdhtlidhen Bedingtheiten 
de8 Traditionalismus gewähren. Schon das Dauererlebnis felbit 
hängt ja in hohem Maße von einer fogialen Borausjeßung ab, 
nämlich der Exijtenz einer Gemein[Haft, die von einem einheitlichen 
Standesbewuktfein getragen wird. Die Vorftellung, ein Slied in 
der Kette der Generationen, Wahrer und Mehrer einer Tradition 
zu fein — diefe8 eigentümlidhe Beruhen in Raum und Zeit, das 
gleichzeitig eine gefteigerte Verantwortung und doch auch wieder eine 
Befhwichtigung bedeutet, — i{ft mohl der ftärkfte theoretifhe Auss 
drug, den das Solidaritätsgefühl eines Standes Überhaupt finden 
fonnte. € if{t daher fein Zufall, daß die franzöfijhen Traditio- 
naliften ausnahmslos dem Landadel entftammen. In diejen Kreifjen 
war der Sinn für Kollektivberantmwortlichkeit, für ent{Hhloffenes Sich- 
gingliedern in die überindividuellen Bindungen des Standes und 
der Land{Haft noch hinreidhend lebendig geblieben, um der Mode- 
[trömung der Aufklärung einen fejten Damm entgegenzufjeben. Sie 
bildeten deshalb nicht nur den eigentlidhen Wurzelgrund der iradi- 
tionaliftijcdhen Doktirin, die ja eine Apotheofe ihres Lebensgefühls 
barjtellte, Jondern auch den beftenm Refonanzboden für diefelbe. Diefe 
unmittelbare Beziehung zwifchen fozialer Realität und theoretifchent 
Ausdruc ermöglichte dem franzöfjijhen Traditionalijten einen Alti- 
bitätsgrad, der dem deutjhHen KRomantifer unerreidhbar blieb. Das 
Semeinfchaftsgefühl, das dem fFranzöfijdghen Edelmann angeboren
	        
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